Wohnungslose erleben in Düsseldorf Licht und Schatten

Platte machen in einer reichen Stadt

Eine eigene Toilette, ein richtiges Bett und einen Kühlschrank mit Essen und Trinken: Das hat Rolf am meisten vermisst. Fünf Jahre lang gehörte der 48-Jährige zu den 200 bis 300 Wohnungslosen, die in Düsseldorf das ganze Jahr über "Platte machen". Beim Leben auf der Straße erleben sie im reichen Düsseldorf, das als "schickimicki" verschrien ist, die armen Seiten der Landeshauptstadt. Aber auch ein gut ausgebautes Hilfe-Netz.

Autor/in:
Verena Wetzel
 (DR)

So fand Rolf durch Angebote der Diakonie den Weg zurück in ein geregeltes Leben. Ein Blick zurück: Viele Jahre lang schien in seinem Leben alles in Ordnung: Nach einer Ausbildung zum Heizungsbauer arbeitete er 24 Jahre als Fernfahrer. Doch dann kamen eine Herzkrankheit und eingeschränkte Arbeitsfähigkeit. Es folgten Geldprobleme, schließlich verlor er seine Wohnung. So verschieden wie die einzelnen Menschen auf der Straße seien auch ihre Wege in die Wohnungslosigkeit, stellt Clarissa Schruck von der Diakonie-Beratungsstelle «Horizont» fest.

Unter den Betroffenen seien junge Leute, die von zu Hause ausziehen mussten, Frauen auf der Flucht vor gewalttätigen Ehemännern oder Ausländer, die in der Hoffnung auf Arbeit nach Deutschland kamen. Auf einmal wüssten die Menschen nicht mehr wohin und landeten auf der Straße, erläutert die Sozialpädagogin. Oftmals nehme dann ein Kreislauf aus psychischen Problemen, Verwahrlosung und Sucht seinen Lauf. Neben den bis zu 300 Obdachlosen lebten in Düsseldorf etwa tausend Menschen in Notunterkünften und betreutem Wohnen.

Im «Horizont» und einer zweiten Diakonie-Einrichtung mit dem Namen «Shelter» (Schutz) erhalten die Obdachlosen etwas zu essen und trinken, sie können sich duschen und medizinisch versorgen lassen, die Wäsche waschen oder im Internet nach Wohnung und Arbeit suchen. Fachleute zeigen in der Beratung Wege auf, um aus dem Teufelskreis von Armut und Obdachlosigkeit herauszukommen: Um nicht mehr angewiesen zu sein auf eine Notschlafstelle, die Armenküche in der Altstadt oder den U-Bahnhof Heinrich-Heine-Allee, wo man sich im Winter aufwärmen und für zehn Cent waschen und rasieren kann.

Auch die Caritas in Düsseldorf hilft mit einem Angebot für Wohnungslose weiter mit Beratung, Betreuung und Begleitung. Da gibt es Beratung hinsichtlich der Rechtsansprüche auf Sozial   leistungen, Hilfen bei der Wohnungserhaltung, -suche & -einrichtung, Beratung über das stationäre Angebot in Düsseldorf, Unterstützung bei der Bewältigung persönlicher Probleme und auch Hilfestellungen in finanziellen Problemen.

Düsseldorf gilt als reich, es ist zusammen mit Dresden die einzige schuldenfreie Großstadt in Deutschland und weist die bundesweit höchste Wirtschaftsproduktivität auf. Wer den Blick auf solche Zahlen und touristische Aushängeschilder wie die Einkaufs-Prachtmeile Königsallee, kurz Kö, richtet, übersieht schnell die ärmere Seite der Stadt. Rolf erlebt viele Menschen als versnobt und überheblich. «Da kommen dann Sprüche wie: Geh arbeiten, du fauler Hund», berichtet er.

Rolfs bester Freund ist sein Hund «Hesse», ein Border-Collie-Mischling. Er sei für ihn Menschenersatz und wichtigster sozialer Bindungspartner, sagt der 48-Jährige. «Du baust ein richtig inniges Verhältnis zu dem Tier auf, das ist quasi wie dein Kind.» Hunde sind für viele Wohnungslose auch wichtig als Beschützer.

Inzwischen hat Rolf wieder eine eigene Wohnung. Um seinen Lebensunterhalt zu bestreiten, verkauft er die Straßenzeitung «fiftyfifty», die Hälfte des Verkaufspreises von 1,50 Euro darf er behalten. Durch den Verkauf kommt er in Kontakt mit Menschen anderer sozialer Gruppen. Eine «Stammkundin» machte ihm sogar ein Weihnachtsgeschenk: Weil sie weiß, dass er gerne in seiner Wohnung werkelt, kaufte sie einen Baumarkt-Gutschein über 20 Euro «für den freundlichen fiftyfifty-Verkäufer».

Rund 1.500 Menschen leben nach Rolfs Worten inzwischen vom Verkauf der Straßenzeitung, vor den Hartz-Reformen seien es um die 600 gewesen. Auch die Diakonie beobachtet, dass es mehr arme Menschen gibt. Die Zahl der Obdachlosen, die dauerhaft auf der Straße leben, sei aber in etwa gleich geblieben. Für ganz Deutschland beobachtet die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe mit Sitz in Bielefeld eine sinkende Tendenz. Für das Jahr 2006 schätzte sie die Zahl aller Menschen ohne Wohnung auf 265.000, für das Vorjahr auf 298.000.

Seine Clique vom Leben auf der Straße trifft Rolf beinahe jeden Tag, auch wenn die meisten von ihnen mittlerweile eine Wohnung gefunden haben. Über den Winter nahm der frühere Fernfahrer einen obdachlosen Freund auf, «aber als der Frühling kam, ging der wieder Platte machen». Manche haben sich eingerichtet im Leben auf der Straße, sie wollen nicht mehr zurück.

Sie hätten die Hoffnung verloren, sagt Schruck. Nach ein paar vergeblichen Anläufen, von der Straße wegzukommen, sei ihnen alles egal. Rolf ist froh, dass er den Absprung geschafft hat. Er könne jetzt duschen, wann er wolle, und im Winter die Heizung aufdrehen. «Ich vermisse Nichts am Wohnungslosenleben», sagt er nachdrücklich.