Wolfgang Schäuble zur Rolle der Kirchen in der Gesellschaft

"In dieser Ordnung lebt man auch als Atheist gut"

Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) ist überzeugt, dass die Religion in Deutschland künftig wachsende Bedeutung gewinnt.Zugleich lädt er die Muslime ein, sich aktiv am öffentlichen Leben zu beteiligen.

 (DR)

Schäuble kritisiert die Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen scharf. An diesen Tagen sollten die Geschäfte geschlossen bleiben, sagte er im Interview in Berlin. Das sei für alle Menschen wichtig, nicht nur für Christen. Jeder brauche Pausen, um innezuhalten.

Die Entscheidung hierzu liege nach der Föderalismusreform in der Zuständigkeit der Länder, betonte der Bundesminister. Persönlich sei er aber dafür, die Ladenschlusszeiten nur an Werktagen freizugeben.

Religion soll Wahlpflichtfach bleiben
Kritik übte der Innenminister auch an der Entscheidung von Berlin und Brandenburg, künftig auf Religion als Wahlpflichtfach zu verzichten. "Kinder haben ein Recht auf Religionsunterricht", betonte Schäuble. Die Väter und Mütter des Grundgesetzes hätten sich klar für konfessionellen Religionsunterricht ausgesprochen.

"Religiöse Unterweisungen sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Glauben auch gelebt wird", betonte Schäuble. In einem abstrakten Wissensunterricht sei dies nicht möglich.

Religion wird immer wichtiger
Schäuble ist überzeugt, dass die Religion in Deutschland künftig wachsende Bedeutung gewinnt. Zugleich lädt er die Muslime ein, sich aktiv am öffentlichen Leben zu beteiligen.

Der CDU-Politiker geht davon aus, dass Religion im 21.
Jahrhundert nicht an Bedeutung verlieren werde. Es gebe zwar viele Umbrüche. Die Menschen würden aber sehen, dass man letztlich ohne Religion schwerer zu Rande komme. "Nicht zuletzt manche beunruhigende Entwicklung in der muslimischen Welt lässt im Ergebnis Christen wieder selbstbewusster werden", so Schäuble. Persönlich halte er auch die jüngste Entscheidung des Trierer Landgerichtspräsidenten, das Kreuz aus dem Gericht zu verbannen, für falsch. Andererseits hätten solche Auseinandersetzungen den Nebeneffekt, dass viele Menschen das Kreuz wieder bewusster wahrnehmen.

Innnenminister Schäuble zum Verhältnis von Religion und Staat: Das Interview

KNA: Herr Minister Schäuble, Berlin hat seinen ersten verkaufsoffenen Advent erlebt. Steht der Feiertagsschutz zum Ausverkauf?

Schäuble: Darüber zu entscheiden, liegt nach der Föderalismusreform natürlich in der Zuständigkeit der Länder. Ich persönlich bin dafür, die Ladenschlusszeiten an Werktagen freizugeben. An Sonntagen aber sollten die Geschäfte geschlossen bleiben. Das ist für alle Menschen wichtig, nicht nur für Christen. Jeder braucht Pausen, um innezuhalten. Sonn- und Feiertage würde ich nicht freigeben, das halte ich für falsch.

KNA: Wie sehen Sie die Entscheidung von Berlin und Brandenburg, künftig auf Religion als Wahlpflichtfach zu verzichten?

Schäuble: Die Väter und Mütter des Grundgesetzes haben die staatskirchenrechtlichen Bestimmungen aus der Weimarer Verfassung übernommen. Darin lag die klare Aussage für einen konfessionellen Religionsunterricht. Religiöse Unterweisungen sind eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Glauben auch gelebt wird. In einem abstrakten Wissensunterricht ist dies nicht möglich. Kinder haben ein Recht auf Religionsunterricht.

KNA: Viele Medien sprechen von einer Renaissance der Religion.
Wie nehmen Sie dies wahr?

Schäuble: Ich bin überzeugt, dass Religion im 21. Jahrhundert nicht an Bedeutung verlieren wird. Sicher gibt es Umbrüche. In vielen Großstädten gehört die Bevölkerungsmehrheit keiner Kirche mehr an. Zugleich nimmt die Zahl der Muslime zu. Ich bin aber überzeugt, dass die Menschen sehen werden, dass man letztlich ohne Religion schwerer zu Rande kommt. Nicht zuletzt manche beunruhigende Entwicklung in der muslimischen Welt lässt im Ergebnis Christen wieder selbstbewusster werden.

KNA: Derzeit erleben wir aber, dass Glaubensbekundungen aus dem öffentlichen Raum verdrängt werden, wie jüngst in Trier.

Schäuble: Ich persönlich halte die Entscheidung des Trierer Landgerichtspräsidenten, das Kreuz aus dem Gericht zu verbannen, für falsch. Andererseits haben solche Auseinandersetzungen den Nebeneffekt, dass viele Menschen das Kreuz wieder bewusster wahrnehmen. Auch das große Kreuz im Unions-Fraktionssaal im Bundestag stört manche. Das ist gut. Das Kreuz soll ja auch ein Anstoß sein.

KNA: Sollte man angesichts der religiösen Pluralität das Staatskirchenrecht durch ein Religions-Verfassungsrechts ablösen?

Schäuble: Unser Land, Europa, unsere von Offenheit und Toleranz geprägte Ordnung haben sich durch das Christentum herausgebildet.

Natürlich darf man eine Glaubensüberzeugung nicht zur politischen Ordnung machen. Aber deshalb sind Religion und Glaube nicht schon unwichtig für unsere Ordnung. Denn der freiheitlich-demokratische Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann. In dieser Ordnung lebt man auch als Atheist oder Angehöriger anderer Religionen gut - besser als Christen in vielen anderen Ordnungen. Deshalb habe ich auch bei der Eröffnung der Islam-Konferenz gesagt: Diese vom Christentum geprägte Ordnung der Toleranz steht euch offen, ihr könnt sie auch mitgestalten. Aber wir machen kein Billigangebot. Nein, wir schaffen die bewährte staatskirchenrechtliche Ordnung nicht ab.
Hierdurch ist auch unsere ganze Interpretation der Religionsfreiheit geprägt.

KNA: Heißt Mitgestaltung der Ordnung auch völlige Gleichstellung, sprich Muslime in Fernsehräten oder ein "Wort zum Freitag"?

Schäuble: Ein "Wort zum Freitag" würde mich nicht stören. Und öffentlich-rechtliche Fernsehräte sind pluralistisch organisiert. Wesentlich ist: Mitgestalten kann nur der, der die Grundregeln unserer bewährten Ordnung akzeptiert. Dazu lade ich die Muslime ein. Das heißt natürlich auch, unser Land verändert sich. In meinem Wahlkreis haben wir in Kehl, Offenburg und anderen Städten Moscheen, die hatten wir vor 20 Jahren nicht.

KNA: Wo sehen Sie in der Islam-Konferenz die größten Hindernisse?

Schäuble: Der Auftakt ist ganz ordentlich gelungen. Doch bleibt es eine schwierige Übung. Zunächst müssen die Muslime selbst die Vielfalt des Islam akzeptieren und sich zugleich bemühen, nicht nur für Minderheiten zu sprechen. Nur so können wir uns dann über Fragen der Lehrerausbildung und der entsprechenden Curricula verständigen. Und natürlich muss in der Art, wie der Islam gelebt wird, sichtbarer werden, dass die grundlegenden Regeln, die Menschenrechte, besonders die Gleichheit von Mann und Frau, akzeptiert werden; und dass man dafür Überzeugungsarbeit gegenüber einzelnen Menschen leistet. Das gilt vor allem für muslimische Verbände.

KNA: In der Bevölkerung, auch unter Christen, grassieren Ängste vor Überfremdung bis hin zu Verschwörungsfantasien. Was sagen Sie ihnen?

Schäuble: Zunächst einmal würde ich als überzeugter Protestant auf Jesus Christus verweisen. Der sagt: Habt keine Angst.
Natürlich stehen wir in der Versuchung, andere zum Sündenbock für eigene Probleme zu machen, wie den Geburtenrückgang oder den Mangel an religiöser Überzeugung. Ich kann den Muslimen nicht vorhalten, sie gingen freitags in die Moschee, bloß weil wenige Christen sonntags zur Kirche gehen. Da müssen wir uns schon eingestehen: Wir haben Defizite, wir müssen uns ändern. Ein Volk, das zu wenige Kinder hat, hat ein Problem mit seinem Zukunftsvertrauen - das ist aber kein Problem der Muslime.

Interview: Ludwig Ring-Eifel und Christoph Scholz (KNA)

Politiker Wolfgang Schäuble†

Der CDU-Politiker Wolfgang Schäuble ist der dienstälteste Abgeordnete der deutschen Parlamentsgeschichte seit 1871. Im November 1972 wurde der gebürtige Freiburger im Wahlkreis Offenburg erstmals in den Bundestag gewählt. Seit fast 50 Jahren hat er ohne Unterbrechung das dortige Direktmandat inne. Am 18. September wird der promovierte Jurist, der neben Rechts- auch Wirtschaftswissenschaften studierte, 80 Jahre alt.

Wolfgang Schäuble (CDU) / © Kay Nietfeld (dpa)
Wolfgang Schäuble (CDU) / © Kay Nietfeld ( dpa )