Pflegerinnen und Pfleger zwischen Heldeninflation und Heldenabschaffung

"Wollen die überhaupt Heldinnen sein?"

Helden? Das sind große Gestalten, siegreich in der Schlacht, mit Denkmälern auf zentralen Plätzen. Ist dieses Heldenbild in der Corona-Zeit überholt? Was macht Pflegekräfte zu Heldinnen und Helden? Und darf man sie so nennen?

Sind Pflegerinnen und Pfleger Helden? / © Avesun (shutterstock)
Sind Pflegerinnen und Pfleger Helden? / © Avesun ( shutterstock )

DOMRADIO.DE: "Jede Demokratie braucht ihre Helden", sagt der Philosophieprofessor Dieter Thomä aus Sankt Gallen. Sind die Helden der Pflege genau die Helden, die wir jetzt in unserer demokratischen Gesellschaft so dringend brauchen?

Prof. Dr. Dieter Thomä (Philosophieprofessor an der Universität St. Gallen): Jedenfalls sind lebensrettende Helden auf den ersten Blick und auch auf den zweiten und dritten Blick sympathischer als die lebensvernichtenden Helden, die oft auf Denkmälern stehen und dann Kriegshelden sind. Außerdem ist es so, wenn man nun von den Helden der Pflege spricht, ist es natürlich auch eine große Wendung, dass jetzt von diesen Menschen die allergrößte Zahl Frauen sind. Wir haben vielmehr Heldinnen als Helden. Und die große Frage ist natürlich: Wollen die überhaupt Heldinnen sein?

Ich glaube, da hängt es ganz entscheidend davon ab, wie wir als Gesellschaft, wie wir, als die, die auf sie angewiesen sind, mit dieser Rhetorik umgehen. Denn es gibt den großen, feinen Unterschied zwischen echtem Lob und faulem Trost. Die Menschen, die sich da in Gefahr bringen, wollen natürlich nicht mit einem Ehrentitel abgespeist werden und ansonsten gucken alle auf sie herab. Viele von ihnen verdienen auch nicht furchtbar viel Geld. Wir müssen sehr genau aufpassen, dass wir diese Heldenrhetorik nicht als so eine Art Ersatzübung veranstalten. Aber: Ich finde, wenn man es ernst meint, dann haben sie diesen Ehrentitel verdient.

DOMRADIO.DE: Ich kenne auch einige, die sagen: Das ist mein Job, ich mache einfach meine Arbeit. Die sind da sehr demütig. Das passt eigentlich gut zu dem, was Sie sagen.

Thomä: Es gab ja nicht nur Kriegshelden, sondern auch die menschenfreundlichen Helden: die Mahatma Gandhis dieser Welt, die Gewaltlosen, die die Dinge angeschoben haben. Die wollten eigentlich nicht Helden genannt werden. Das liegt auch daran, dass man sich diesen Titel nicht selbst gibt, sondern dass man den von anderen geschenkt bekommt.

Viele haben gesagt, übrigens auch Widerstandskämpfer im Zweiten Weltkrieg: "Wir wollen gar keine Helden sein, wir tun das, was menschlich ist." Das finde ich sehr respektabel. Aber es gibt eben auch diesen berühmten Fall von dem Altenheim in Kanada, wo die Pflegerinnen und Pfleger nicht ihre Pflicht getan haben, sondern einfach zu Hause geblieben sind. Da sind dann mehrere Dutzend Menschen gestorben, weil sie schlicht vernachlässigt waren, zum Teil verhungert und verdurstet sind. Das heißt, rein selbstverständlich kann man es nicht nehmen, nach dem Motto: "Die tun ihre Pflicht. Also bitte schön! Dann immer jeden Morgen um sechs andackeln."

DOMRADIO.DE: Warum ist Ihnen das denn so wichtig, sich für Helden in der Demokratie einzusetzen?

Thomä: Weil wir nicht nur in dieser Krise, sondern auch bei anderen Gelegenheiten, merken, dass es in der Gesellschaft nicht nur darum geht, dass irgendwelche Abläufe, dass irgendwelche bürokratischen Regeln funktionieren, sondern dass Menschen sich wirklich einsetzen für diese Ordnung – auch für die Veränderung oder für die Erhaltung dieser Ordnung. Es kommt schon oft darauf an, dass Menschen die Nase in den Wind halten und sich exponieren. In ganz verschiedenen Rollen: abends in der U-Bahn, als Bürgermeister in einer sogenannten "nationalbefreiten Zone" oder eben im Pflegeheim, wo man sich in Gefahr begibt.

DOMRADIO.DE: Wir leben in einer wirklich schnelllebigen Zeit mit vielen konkurrierenden Wertesystemen. Besteht da nicht die Gefahr, dass Helden so ein bisschen wie Eintagsfliegen kommen und gehen?

Thomä: Natürlich besteht die Gefahr. Es gibt, glaube ich, zwei Gefahren: Das eine ist, dass man denkt, Helden könne man abschaffen: Wir seien jetzt im postheroischen Zeitalter und es würde irgendwie alles seinen Gang gehen. Die andere große Gefahr ist die wundersame Heldenvermehrung, dass die dann immer aus dem Hut gezaubert, kurz auf den Sockel gestellt und dann wieder runter gestürzt werden. Diesen Mechanismus gibt es natürlich auch schon lange.

Das heißt: Was machen wir jetzt? Ich glaube, wir müssen dazwischen durch – zwischen der Heldeninflation und der Heldenabschaffung. Dann werden Helden auch so eine Art Anziehungspunkte, Kristallisationspunkte für uns und stellen Formen des guten Lebens, des vorbildlichen Lebens dar. Ich meine, so etwas brauchen wir schon.

DOMRADIO.DE: Für viele Menschen, vor allem für viele Christen natürlich, gibt es keinen größerer Helden als Jesus Christus. Würden Sie da sagen, dass auch Jesus ein demokratiefähiger Held sein kann?

Thomä: Ich weiß gar nicht, ob es theologisch so unumstritten ist, Christus als Held anzusehen. Die von Gott gesandt sind, die sind eigentlich im Kopf anders als Helden. Ich kann mir das zwar nicht vorstellen, aber ich nehme das mal so an. Helden haben typischerweise, wenn wir an die griechischen Helden denken, zum Beispiel, eher die menschliche Karte gespielt. Sie haben nicht unbedingt auf den göttlichen Beistand gesetzt. Insofern glaube ich, es ist vielleicht gar nicht so schlecht, so eine Art geistige Arbeitsteilung vorzunehmen zwischen den religiösen großen Figuren und den weltlichen großen Figuren. Die Helden sind glaube ich eher die zweite Sorte.


Quelle:
DR