World Vision zur Behandlung von Kindersoldaten im Kongo

"Manipulation und Gehirnwäsche"

Rund eine Viertelmillion Kinder werden weltweit als Soldaten missbraucht. Zum sogenannten Red Hand Day an diesem Sonntag spricht Dirk Bathe vom Kinderhilfswerk World Vision bei domradio.de zur Situation im Bürgerkriegsland Kongo.

Kindersoldaten in Simbabwe / © Aaron Ufumeli (dpa)
Kindersoldaten in Simbabwe / © Aaron Ufumeli ( dpa )

domradio.de: Sie waren kürzlich im Kongo und haben zu diesem Thema recherchiert. Was haben Sie im Kongo erlebt?

Dirk Bathe (Pressesprecher beim Kinderhilfswerk World Vision): Wir haben im Osten des Kongos, dort wo die Situation besonders schlimm ist, ein Reintegrationsprojekt. Das Projekt soll ehemalige Kindersoldaten wieder eingliedern. Wir können 80 Plätze für ehemalige Kindersoldaten und zwangsprostituierte Mädchen anbieten. Häufig sind das Mädchen, die von Milizen entführt werden und auch in dem Kontext der Kindersoldaten "arbeiten" müssen und eigentlich nur missbraucht und vergewaltigt werden.

Diese Kinder bekommen erstmal eine soziale Stabilisierung. Wir versuchen  sie auf ihrer psychosozialen Ebene von ihren Schuldgefühlen und dem Gefühl ein "schmutziger Mensch" zu sein, zu befreien. Dann bekommen sie eine schulische Ausbildung und lernen lesen, schreiben und rechnen - viele dieser Kinder haben nie eine Schule besucht. Anschließend bekommen sie eine rudimentäre Berufsausbildung in Bereichen, die tatsächlich auch gebraucht werden, wie zum Beispiel Schuhmacher, Näherin, Automechaniker.

domradio.de: Wenn ich mich in den Kopf eines Befehlshabers reinversetze, würde ich doch nicht auf die Idee kommen, Kinder aufs Schlachtfeld zu schicken, die haben doch noch gar nicht die persönliche Reife. Weshalb macht man das überhaupt?

Bathe: Sie haben das Stichwort schon genannt - die persönliche Reife fehlt. Man kann diese Kinder missbrauchen, man kann sie formen, man kann sie unter Drogen setzen, man kann sie weitestgehend entmenschlichen. Diese Kinder haben häufig erlebt, dass ihre eigenen Eltern, Geschwister oder Verwandten von Milizen umgebracht wurden. Sie werden dann entführt. Manchmal schließen sie sich aber auch aus der Not heraus freiwillig an - in der Erwartung wenigstens ein bisschen was zu Essen zu bekommen.

Was sie dann erleben - ich habe ja mit vielen dieser Kindersoldaten gesprochen - ist eine Manipulation der allerfeinsten Weise. Zum einen bekommen sie eine neue Form der Familie durch die Miliz. Zum anderen gibt es eine Gehirnwäsche, die sagt: Das sind unsere Feinde. Die haben eure Familie umgebracht oder euer Nachbardorf überfallen. Dieser Mix aus Manipulation, Drogen und Gewalttätigkeit formt diese Kinder, zu dem, was sie dann werden. Aus Opfern werden Täter gemacht.

domradio.de: In welcher Altersklasse bewegen wir uns eigentlich?

Bathe: Es gibt Ausreißer nach unten, die so sechs, sieben Jahre alt sind. Die meisten sind jedoch zwischen acht und 17, 18 Jahre alt.

domradio.de: Sie waren selber im Kongo unterwegs und haben mit den ehemaligen Kindersoldaten gesprochen. Sie haben uns auch einen Ton mitgebracht. Was hören wir uns da an?

Bathe: Wir hören das Kampflied eines Kindersoldaten. Er heißt Patrice und ist inzwischen 18 Jahre alt. Er singt das Lied, was sie immer gesungen haben, wenn sie unter Drogen standen und in die Schlacht ziehen mussten. (…)

domradio.de: Wieso singt Patrice so ein Lied ?

Bathe: Ich hatte ihn gebeten, dieses Lied zu singen, weil ich das bei jedem der Kindersoldaten gemacht habe, mit denen ich gesprochen habe. Ich fand es immer wieder faszinierend, diesen Widerspruch zu sehen: Zwischen diesem doch sehr sanften Gesang und dem Inhalt, wo er davon spricht, dass die Ugander das Land überfallen; dass sie Messer und Waffen brauchen; dass sie abschlachten und zermetzeln wollen. Und dann geht es zurück zur Liebsten und du kannst heiraten und Kinder kriegen. Das ist grob gesagt, der Inhalt dieses Liedes. Doch in erster Linie führen wir viele intensive Gespräche mit den Kindersoldaten, um aufzuarbeiten, was passiert ist und sie von ihrer Schuld zu befreien. Dazu gehören auch Gestalt- und Gesprächstherapie.

Das Gespräch führte Renardo Schlegelmilch.


Dirk Bathe / © worldvision
Dirk Bathe / © worldvision
Quelle:
DR