Wort des Bischofs

Flutkatastrophe – Seelsorge und Erkenntnisse

"Nach dem ersten Entsetzen über vielen Toten und die zerstörten Häuser, wenn jetzt ein wenig vom großen Dreck beseitigt ist, wenn die ehren- und hauptamtlichen Hilfskräfte teilweise langsam wieder abziehen, wenn die Menschen in ihre noch nassen oder feuchten Wohnungen zurückkehren, wenn nach dem Gefühl einer großen Notgemeinschaft wieder das Alleinsein kommt - was jetzt?"

 (DR)

Als wenn die Unglücke nicht aufhören wollten, erst auch in Leverkusen die überfluteten Stadtteile, am Dienstag dann die große Explosion wieder mit Toten und vielen Verletzten, denen auch unser Gebet gilt.

Wenn ich zurückschaue auf meine Erfahrungen der letzten Tage in den durch die Wassermassen verwüsteten Dörfern und Städten, dann empfinde ich trotz all dem Fürchterlichen ein ganz großes Gefühl von Dankbarkeit und ich bin sehr, sehr nachdenklich geworden. Was habe ich erlebt an großartiger Menschlichkeit, an Hilfsbereitschaft untereinander und von überall her, an Teilen in der Not. Alles unvergesslich für mich.

Und jetzt? Nach dem ersten Entsetzen über vielen Toten und die zerstörten Häuser, wenn jetzt ein wenig vom großen Dreck beseitigt ist, wenn die ehren- und hauptamtlichen Hilfskräfte teilweise langsam wieder abziehen, wenn die Menschen in ihre noch nassen oder feuchten Wohnungen zurückkehren, wenn nach dem Gefühl einer großen Notgemeinschaft wieder das Alleinsein kommt - was jetzt? Hilfsorganisationen wie die Malteser schicken in diesen Tagen PSNV¬-Teams in die Region. Psychosoziale Notfallversorgung. Denn aktuell braucht es auch die Sorge um die verwundeten Seelen. Da sind aber auch wir alle als Christen gefragt. Es ist für Außenstehende schwer zu begreifen, was es bedeutet, wenn alle vertrauten Dinge von den Fluten mitgerissen sind, wenn die Familienbilder weg sind und die Fotoalben oder die Mitbringsel von Reisen, wenn vom bisherigen Leben ausschließlich die Erinnerungen bleiben. Hier können wir als Seelsorger helfen. Deshalb werde ich weiterhin in die betroffenen Gebiete zu den Menschen fahren. Und ich freue mich über jeden, der jetzt neben der konkreten Unterstützung auch seelsorgerlich mithilft.

Diese Ohnmachtserfahrung, diese Erfahrung, wie verletzlich wir doch sind, diese Konfrontation mit unserer Begrenztheit – das ist so schwer zu ertragen. In meinen Gesprächen habe ich gemerkt, wie sich manche von Gott allein gelassen fühlen. Und ich hörte die Frage, ob die Klage und die Verzweiflung über die ganze Zerstörung auch vor Gott gehört. „Ja“ – habe ich dann immer geantwortet. Ja, unsere Klage können wir vor Gott bringen, ihm unsere Not vortragen und vertrauen, vertrauen auf seine guten Hände.

Wo ich jedoch so sehr nachdenklich geworden bin, ist, dass ich glaube, dass wir spätestens jetzt eine Mahnung, eine Lehre nicht überhören dürfen.

Es ist Zeit, unseren Umgang mit der Schöpfung noch stärker zu überdenken.

Ihr

Rainer Woelki

Erzbischof von Köln