Ich stehe vor dem Flüchtlingsboot in unserem Dom. In Booten wie diesen brechen all die Verzweifelten und Vertriebenen auf. Weil wir den Landweg dichtgemacht haben, riskieren sie die lebensgefährliche Flucht über das Meer. Doch für immer mehr Menschen, die in ihrer Heimat vom Tod bedroht sind, endet auch die Flucht tödlich: In diesem Jahr sind bereits mehr Flüchtlinge im Mittelmeer ertrunken als im letzten Jahr. Wir wissen von über 3.800 Ertrunkenen. Und die gefährlichen, kalten und stürmischen Wintermonate beginnen gerade erst.
3.800 Menschen – eine ganze Kleinstadt voller Menschen. Auf ihrer Flucht qualvoll ertrunken. In dem Meer, wo viele von uns gerade noch ihren Urlaub verbracht haben. Sollten wir das Mittelmeer nicht konsequenterweise zukünftig "Totes Meer" nennen? Ich weiß, viele wollen oder können es nicht mehr hören. Aber ich gehöre zu den Menschen, die diese schreckliche Wahrheit niemals verschweigen oder einfach weggucken werden. Es wird dunkel in unserem christlichen Abendland, wenn wir all den Ertrunkenen nur noch hilflos die Augen zudrücken. Warum gelingt es uns nicht, endlich sichere Fluchtwege einzurichten, warum nicht legale Einreisemöglichkeiten. Wir können Kriegsflüchtlinge und Schutz- und Asylsuchende doch nicht einfach Tag für Tag weiter ertrinken lassen! Eine gesamteuropäische Lösung für unser christliches Abendland stelle ich mir anders vor!
Wenn Sie auch nicht schweigen wollen, dann teilen Sie diese Botschaft. So bekommen die Ertrunkenen wenigstens im Tod eine mahnende Stimme. Eine Stimme, die laut aufschreit und die nicht länger überhört werden kann.
Ihr Rainer Woelki
Erzbischof von Köln