Dürfen wir uns damit abfinden, dass in Europa und auch hier bei uns Juden Tag für Tag bedroht werden und wieder in Angst und Schrecken leben müssen? Dürfen wir das einfach so nur zur Kenntnis nehmen, dass nicht nur in unserer Heimatstadt jüdische Eltern ihren Kindern lieber keine Kippa aufsetzen, weil sie fürchten müssen, dass ihre Kinder sonst auf offener Straße diskriminiert werden?
Müssen wir uns wirklich damit abfinden, dass in Deutschland jüdische Einrichtungen rund um die Uhr von der Polizei beschützt werden müssen, weil Synagogen, Gemeindehäuser und Friedhöfe sonst beschmiert oder geschändet würden? Nein, Nein und noch einmal ganz entschieden: Nein!
Hier im Herzen der Domstadt, direkt vor dem heutigen Rathaus stand schon vor 1700 Jahren ein jüdisches Gotteshaus. Die heutige Kölner Synagogengemeinde bezeichnet sich daher auch als „älteste jüdische Gemeinde nördlich der Alpen“. In der langen jüdischen Glaubensgeschichte da gab es oft Anaß zu großer Freude, aber eben auch unsägliches Leid. Mir hat man als Jugendlicher vom Brand der Synagogen, von der gezielten Verfolgung und generalstabsmäßigen Ermordung der Juden erzählt.
Für mich stand schon damals fest: Von deutschem Boden da darf nicht nur nie wieder Krieg ausgehen, sondern Juden müssen hier bei uns wieder eine echte Heimat haben. Nie wieder darf es Denunzierung, nie wieder darf es Diskriminierung oder gar Verfolgung geben.
Gerade wir Christen dürfen hier nicht wegsehen, wenn es heute wieder an der Tagesordnung ist, dass Juden beschimpft oder bedroht werden. Dabei spielt es gar keine Rolle, aus welcher Richtung diese Angriffe kommen. Papst Johannes Paul II., Papst Benedikt XVI. und auch Papst Franziskus die haben da mit ihren Synagogenbesuchen deutliche Zeichen gesetzt. Warum setzen nicht auch wir ein Zeichen und besuchen wenigstens hin und wieder einmal die nächstgelegene Synagoge oder den heimischen jüdischen Friedhof?
Papst Franziskus zum Beispiel ist seit vielen Jahren mit dem argentinischen Rabbiner Abraham Skorka befreundet. Wer von uns hat schon mal jüdische Bekannte oder Freunde zum Kaffee oder Gespräch eingeladen? Oft sind es ja gar nicht die großen Momente der Weltgeschichte, sondern die kleinen Gesten und Zeichen, die unsere Welt heller und freundlicher machen. Die jetzt beginnende Woche der Brüderlichkeit ist da ein guter Anlass, denn es stimmt doch: Jesu, seine Jünger, seine engsten Freunde und seine Begleiter das waren alles Juden. Juden sind deshalb unsere älteren Schwestern und Brüder im Glauben.
Wir werden es daher nicht länger zulassen, dass diese unsere Schwestern und Brüder beschimpft und bedroht werden. Wir werden es nicht länger zulassen, dass sich unsere jüdischen Schwestern und Brüder in Deutschland wieder heimatlos fühlen müssen. Wir Christen, wir dürfen nie mehr wegsehen.
Wir werden nie wieder schweigen, und wir werden jetzt und zukünftig füreinander da sein – das sind wir unseren jüdischen Schwestern und Brüder nicht einfach nur schuldig. Das ist unsere christliche Pflicht.
Ihr Rainer Woelki
Erzbischof von Köln