Mit etwas Glück wird der böse Satz vom „Abschulen“ achselzuckend neutral ausgesprochen, mit Pech zynisch kalt. Und dann wird geschimpft auf diese blöden Eltern. Die doch einfach nicht kapieren wollen, dass ihre Kinder eben nicht die hellsten seien. Aber aufs Gymnasium sollen sie alle, ja,ja, Eltern sind heute so unvernünftig und so weiter und so fort... Ich will an dieser Stelle nicht allen Eltern pauschal die Stange halten. Natürlich gibt es beratungsresistente Eltern. Aber alle Eltern wollen das Beste für ihr Kind – und überall wird ihnen weisgemacht, dass das Beste sei, Abitur zu machen. Weil - ohne Abitur könne man ja nicht mal mehr eine Lehrstelle in der Bank bekommen. Das ist zwar Unsinn, gepflegter Unsinn, aber so wird es oft dargestellt. Dass Eltern dann Angst haben, kann ich gut verstehen.
Ab-ge-schult. Was für ein Wort! Abschulen heißt absteigen müssen. Ab, weg, du gehörst hier nicht hin. Worte, das wissen wir nicht erst seit Hilde Domin, können Waffen sein. Aber niemand hat es so schön gesagt wie sie. „Besser ein Messer als ein Wort“ hat sie gedichtet. Und hat Recht.
Besser ein Messer als ein Wort./Ein Messer kann stumpf sein./Ein Messer trifft oft/am Herzen vorbei./Nicht das Wort./Am Ende ist das Wort,/immer/am Ende/das Wort.
Am Ende ist das Wort abgeschult immer das Wort abgeschult. Ein „abgeschultes“ Kind wird eine Wunde davon tragen. Es war nicht gut genug, es wird aussortiert. Ganz gleich, ob die Eltern selbst schuld sind oder nicht – die Wunde bekommt das Kind.
Worte haben so viel Kraft. Sie können uns die letzte Energie, die wir noch haben rauben - oder uns beschwingt zu neuen Ufern aufbrechen lassen. Das könnten Lehrer wissen – und wenigstens keine Worte wählen, die in Kinderherzen stechen.
Und wenn wir als Gesellschaft endlich lernen würden, eine Schule für alle Kinder zu schaffen, dann bräuchte auch keines mehr abgeschult zu werden!