Cartentey Fernandez rätselt noch immer darüber, was die Ärzte genau aus ihrem Unterleib entfernten. Die 39-jährige Kubanerin zeigt ihrem Anwalt im Gefängnis "Irwin County Detention Center" im US-Bundesstaat Georgia die frischen Narben auf ihrem Bauch. Ob sie noch eine Gebärmutter oder ihre Eierstöcke hat, weiß sie nicht.
Krankenschwester Dawn Wooten kennt mindestens 20 Migrantinnen und Geflüchtete, die eine ähnliche Geschichte zu erzählen haben. Der fürchterliche Verdacht: Die Frauen sind alle Opfer von Zwangssterilisierungen geworden. Die Menschenrechtsgruppe "Project South" dokumentierte die Fälle in einer 27 Seiten starken Beschwerde bei der ICE; darunter auch die von Krankenschwester Wooten. "Es war, als experimentierten sie mit unseren Körpern", zitiert "Project South" ein mutmaßliches Opfer.
Ordensschwester: "Das Gegenteil von Lebensschutz"
"Das ist das Gegenteil von Lebensschutz", empört sich Schwester Simone Campbell, Geschäftsführerin der katholischen Lobbygruppe Network. Die Vorwürfe seien "schockierend". Cambpell sagt, Donald Trump habe mit seiner "entmenschlichenden" und "rassistischen Rhetorik" gegenüber Einwanderern diese Praxis möglich gemacht. Die Abschiebehaft sei "ein experimentelles Konzentrationslager, das mit Steuergeldern eingerichtet wurde".
Die Geschäftsführerin des "Catholic Legal Immigration Network" CLINIC, Anna Gallagher, verlangt eine umfassende Untersuchung der Zwangssterilisierungs-Vorwürfe. "Das ist der ultimative Akt von Gewalt gegen Frauen." Der Direktor des "National Advocacy Center of the Sisters of the Good Shepard", Lawrence E. Couch, spitzt die Frage nach der Rechenschaft weiter zu. "Wer hat diese Politik initiiert? Wer führte sie aus?" und "Wer hat sie vertuscht?"
Auch führende US-Evangelikale zeigen sich empört. "Wir hätten nie erwartet, dass wir uns mit solchen Anschuldigungen über unser eigenes Land befassen müssten", sagt der Präsident der Ethik-Kommission der Süd-Baptisten, Russel Moore.
Sterilisierungen auf den Grund gehen
Die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses, Nancy Pelosi, verspricht, der ungewöhnlich hohen Anzahl von Sterilisierungen in einem einzigen ICE-Gefängnis auf den Grund zu gehen. Falls sich die Vorwürfe als richtig erweisen sollten, wäre das "eine erschütternde Verletzung der Menschenrechte", so die Demokratin. In einem gemeinsamen Brief wenden sich 170 Kongressabgeordnete an den Generalinspekteur des für die ICE zuständigen Heimatschutzministeriums, Joseph Cuffari: Er soll bis Ende der Woche (25. September) Stellung beziehen.
Der Fall weckt Erinnerungen an Zwangssterilisationen, die in den USA noch bis Ende des 20. Jahrhundert in 33 Bundesstaaten an armen, psychisch kranken Menschen oder Schwarzen möglich waren. Obwohl in der "Project South"-Beschwerde kein Frauenarzt namentlich genannt wird, konzentrieren sich die Ermittlungen auf eine Gynäkologin, die den Spitznamen "Gebärmuttersammlerin" trug. Die Ärztin bestreitet die Vorwürfe vehement. Dabei erheben immer mehr Anwälte Klage im Namen von Mandantinnen, die aus Angst vor weiteren Repressalien lieber anonym bleiben wollen.
Dagegen trat Pauline Binam an die Öffentlichkeit: Ihr sei ohne Einwilligung ein Teil ihres Eileiters herausgenommen worden; daher könne sie jetzt nur noch per In-vitro-Fertilisation schwanger werden, sagt die 29-Jährige. In letzter Minute verhinderten die Anwälte die Abschiebung der Frau, die als Zweijährige aus Kamerun in die USA kam. Sie soll nun als Zeugin vernommen werden.
ICE weist Vorwürfe zurück
Die Direktorin der medizinischen Dienste bei der Einwanderungspolizei ICE, Ada Rivera, weist die schweren Vorwürfe zurück. Es seien keine Sterilisierungen gegen den Willen der Frauen vorgenommen worden.
Binam und die Kubanerin Fernandez durften die Abschiebehaft nach Bekanntwerden der Vorwürfe verlassen, müssen sich aber regelmäßig bei der ICE melden. Nach mehrfacher Aufforderung erhielt Fernandez kürzlich 100 Seiten an medizinischen Dokumenten. Darin fand sich nicht eine Zeile, die ihr verriet, was ihr Mitte August auf dem OP-Tisch widerfuhr.