domradio.de: Trotz 200 Milliarden Euro pro Jahr ist der Etat des Familienministeriums offensichtlich einer der unwirksamsten. Wie ist das möglich?
Glück: Ich bezweifle, dass man solche Feststellung so pauschal treffen kann, wie es die Gutachter tun. Natürlich sollten alle Maßnahmen - auch sozial- und familienpolitische - immer wieder auf ihre Wirksamkeit überprüft werden. Und die erste Frage muss lauten: An was messen wir den Wirksamkeit für Familien? Ist es die Zahl der Kinder? Ist es die Zahl der berufstätigen Frauen? Soll Familienpolitik nur funktional verstanden werden? Das alles ist damit überhaupt nicht gewertet. Und deswegen sollte eine solche Untersuchung vor allem Anlass sein, über diese Themen zu reden und zu fragen, ob die rein ökonomische Betrachtungsweise - die Frage wie viele Kinder bei wie viel Geld zur Welt kommen - der richtige Maßstab ist.
domradio.de: Schauen wir mal auf die Details: Überaus kritisch sehen die Experten beispielsweise das Kindergeld. Arme Familien, so sagen sie, profitieren nicht davon, weil es bei ihnen mit anderen Sozialleistungen verrechnet wird. Sehen Sie das auch so?
Glück: Für viele Familien ist das Kindergeld sehr wichtig. Ich weiß nicht, welche Maßstäbe die Gutachter angelegt haben. Man sollte besser die Menschen in den unterschiedlichen Einkommensschichten befragen.
domradio.de: Stichwort: Betreuungsgeld. In den Augen der Experten nur ein weiterer wirkungsloser Geldregen an der falschen Stelle...
Glück: Beim Betreuungsgeld geht es vor allen Dingen um die Frage der tatsächlichen Wahlfreiheit. Und hier werden eine Menge falsche Wirkungen unterstellt: Kinder würden von der Betreuung zum Beispiel im Kindergarten abgehalten. Das ist aber nicht der Maßstab. Debatten dieser Art sind mir deshalb zu oberflächlich.
domradio.de: Die Opposition sieht sich von dem Gutachten bestätigt und fordert statt direkten Geldleistungen viel mehr Investitionen in die Infrastruktur – in den Ausbau von Kitas und anderen Betreuungseinrichtungen. Wäre das auch in Ihren Augen ein gebotener Richtungswechsel?
Glück: Der Glaube daran, dass sich dadurch die Zahl der Kinder entscheidend verändern wird, halte ich für eine große Illusion. Und wieder wird hier Familie nur funktional mit Blick auf Arbeitskräfte gesehen. Wir haben ein ganz anderes grundlegendes Problem: die gesellschaftliche Bedeutung von Kindern und Familien, der Stellenwert. Kürzlich erst hat eine europäische Studie die Selbsteinschätzung der Menschen auf ihre Kinderfreundlichkeit der Gesellschaften untersucht. Die Deutschen haben ehrlicherweise festgestellt, wir sind keine kinderfreundliche Gesellschaft sind. An der Spitze dieser Umfrage liegt Dänemark mit 90 Prozent, Frankreich folgt an fünfter Stelle mit 40, in Deutschland sagen nur 15 Prozent, wir sind eine kinderfreundliche Gesellschaft. Wenn wir Familien - Kinder und alte Menschen - nicht grundsätzlich anders verorten und das gesamte gesellschaftliche Leben nicht anders darauf einstellen, werden weder zusätzliche finanzielle Leistungen noch ein Umsteuern auf Kinderbetreuungseinrichtungen etwa die Frage der Kinder in Deutschland nicht wesentlich verändern. Diese Debatte müssen wir führen!
Das Gespräch führte Hilde Regeniter.