domradio.de: Die Meldungen zu einem vermeintlichen Verbot der Schulleitung, Weihnachten zu thematisieren, haben für Debatten gesorgt. Die Schulleitung hat ein Verbot dementiert. Laut dem Auswärtigen Amt soll dieser Streit beigelegt sein. Glauben Sie, es gab tatsächlich dieses Verbot an der Lisesi-Schule?
Prof. Dr. Thomas Sternberg (CDU-Politiker und Präsident des Zentralkomitees der Deutschen Katholiken): Ja, denn die Dementierung der Schulleitung ist nicht sehr überzeugend. Offensichtlich hat es große Auseinandersetzungen gegeben, um eine klarere islamische Ausrichtung der Schule zu garantieren.
domradio.de: Was glauben Sie passiert gerade durch dieses Verbot am Lisesi-Gymnasium?
Sternberg: Ich fürchte, da passiert in Istanbul etwas, was mich sehr betroffen macht. Was ist aus dieser großen Stadt Konstantinopel/Istanbul geworden? Unter Atatürk hat es eine Türkisierung der Stadt gegeben und die Griechen wurden zum Großteil vertrieben. Und wenn es jetzt auch noch eine Islamisierung dieser großen internationalen, bunten Stadt geben sollte, dann wäre das geradezu tragisch. Es ist genau das Gegenteil von dem, was wir in Europa und Deutschland fordern - die Information über das Andere. Das muss einen ja nicht verunsichern, wenn man fest in seinen Traditionen steht. Wir wollen hier an unseren Schulen, dass zum Beispiel über das Zuckerfest informiert wird. Genauso selbstverständlich gehört zu einer türkischen Schule die Information, was das christliche Weihnachtsfest ist, und zwar nicht nur an Schulen mit deutschem Anteil. Aber an deutschen Gymnasien in der Türkei ganz besonders.
domradio.de: Für die Lisesi-Schule zahlt Deutschland Millionen Euro an die Türkei auf der Grundlage eines deutsch-türkischen Abkommens. Entspräche so ein Ausklammern von Weihnachten im Unterricht diesem Abkommen?
Sternberg: Natürlich nicht. Selbstverständlich soll dieses Kulturabkommen dazu dienen, dass der Kulturaustausch zwischen den Völkern stattfindet. Austausch, Informationen, Dialoge bilden die Grundlage für eine gedeihliche internationale Zusammenarbeit. Was hier passiert, ist extrem erschreckend. Will die Türkei sich tatsächlich so abschotten und abriegeln und sich gegen eine Europäisierung und Integration in Europa, wie sie in den letzten Jahrzehnten noch angestrebt worden ist, wenden?
domradio.de: Sie haben vor gut 6 Jahren als Kulturpolitiker die Lisesi-Eliteschule in Istanbul besucht. Gab es da schon Anzeichen für politische Spannungen?
Sternberg: Nein, solche Spannungen haben wir überhaupt nicht bemerkt, denn dieses Lisesi ist eine hoch anerkannte, sehr, sehr gute Schule. Sie ist von allen hoch akzeptiert. Wir haben uns als Landesgruppe von Nordrhein-Westfalen mit dem Sprecher der deutschen Lehrergruppe getroffen. Und uns wurde erläutert, wie gut alles funktioniert und diese Schule arbeitet und welchen guten Ruf diese Schule genießt. Wenn das in Istanbul auf das Spiel gesetzt werden soll, dann wird das nicht nur für diese wunderbare Stadt, sondern auch für die gesamte Türkei weitere katastrophale Konsequenzen haben. Wohin entwickelt sich dieses Land, frage ich mich?
domradio.de: Glauben Sie, dass die massive Kritik an diesem vermeintlichen Weihnachtsverbot überhaupt etwas an der politischen Entwicklung in der Türkei ändern kann?
Sternberg: Ich glaube, dass die Türkei merken muss, dass Dinge nicht unwidersprochen hingenommen werden und dass die zunehmende repressive Verengung der Türkei auf sich selber auf den Protest derer stört, auf die die Türkei angewiesen ist. Die Türkei braucht die Zusammenarbeit nicht zuletzt mit Deutschland. Deutschland ist ein verlässlicher Partner dieses Landes, und wir wissen auch, was wir an der Türkei haben. Selbstverständlich sind die Türkei und Deutschland schon immer freundschaftlich verbunden gewesen. Das wird alles aufs Spiel gesetzt, wenn solche auf den ersten Blick kleine Ereignisse sich zu einem Puzzle zusammenfügen und sich zu einem System der Unfreiheit entwickeln.
Das Interview führte Silvia Ochlast