domradio.de: Die Vorsitzenden der AfD haben am Wochenende den Islam zu einer Ideologie erklärt, die nicht mit dem Grundgesetz vereinbar sei. ZdK-Präsident Thomas Sternberg, was sagen Sie, gehört der Islam zu Deutschland?
Thomas Sternberg (Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken): Diesen Streit haben wir doch schon längst durchgeführt. Dass Muslime zu Deutschland gehören, wird ja wohl niemand bestreiten. Und auch der Islam. Meines Erachtens sind das Streitigkeiten um Begriffe. Wenn man sich die europäische Geschichte ansieht, wird man feststellen, dass es selbstverständlich islamisch-christliche Austauschprozesse bei Franziskus von Assisi und Thomas von Aquin gegeben hat. So einfach ist das nicht zu denken. Und dass auch die große Religion Islam in gewisser Weise zu Europa gehört, versteht sich fast von selbst.
domradio.de: Was glauben Sie, was bezwecken die AfD-Spitzen? Ist das einfach nur reine Provokation?
Sternberg: Ich glaube nicht, dass es Provokation ist. Ich glaube, dass dieses Programm und die Sätze in diesem Programm auf den Beifall einer breiten Öffentlichkeit setzen. Indem man vor allem mit Parolen zu argumentieren versucht. Man spricht mit einem sehr schwachen Halbwissen über den Islam - über eine große Weltreligion, die natürlich sehr differenziert ist - und andererseits auch mit gleichem schwachen Halbwissen über die christlich-fundierte Kultur Europas, die auch so schlicht nicht ist, wie sie da beschrieben wird. Es erheitert geradezu, zu sehen, mit welchen Verrenkungen man da eine humanistische, antike Tradition beschwört, die dann angeblich anders ist als die christliche.
domradio.de: Der Vorsitzende des Zentralrats der Muslime in Deutschland, Aiman Mazyek, hat sich auch zu Wort gemeldet und und vergleicht die AfD mit der NSDAP von Adolf Hitler. Mit der AfD gebe es zum ersten Mal seit Hitler-Deutschland eine Partei, die erneut eine ganze Religionsgemeinschaft diskreditiere und sie existenziell bedrohe. Was sagen Sie zu diesem Vergleich?
Sternberg: Ich halte von solchen Vergleichen grundsätzlich nicht viel, weil es eine Schärfe in die Debatte bringt, die letztlich nicht weiter führt. Ich finde, es ist besser, sich das Programm der AfD mal genauer anzusehen. Wenn es da zum Beispiel heißt, man verfolge das französische Modell, dann bitte ich sehr aufmerksam zu sein. Denn das französische Modell ist ein laizistisches Modell, das anders ist als das deutsche. Das heißt, wenn die Religionsfreundlichkeit des deutschen Grundgesetzes nicht mehr gelten soll, hat das erhebliche Auswirkungen auf alle Religionen, auch auf die Religionsausübung der Christen.
In dem Programm wird ständig von Werten gesprochen. Aber welche Werte sind das denn, die Europa ausmachen? Ich frage mich, ob wir nicht viel stärker das Christliche im Abendland retten sollten als das christliche Abendland. Was ist denn dieses Christliche? Das sind Offenheit und Toleranz, Menschlichkeit, Solidarität, Chancengleichheit, Personalität, die Ablehnung, Menschen nach Gruppenzugehörigkeiten zu beurteilen. Das sind doch die christlichen Grundlagen Europas, mit denen wir groß geworden sind, die Europa wichtig waren. Diese Werte wurden natürlich hier nicht immer anerkannt und befolgt, aber wir als Christen sollten sie besonders verteidigen.
domradio.de: Was sollten wir als Christen denn dann tun - genauer: Inwiefern sind wir als Katholiken gefragt?
Sternberg: Meines Erachtens sind wie als Katholiken dringend gefragt, den Dialog mit den muslimischen Bürgerinnen und Bürgern in diesem Land zu führen - dass wir mit den Muslimen gemeinsam gegen die Pervertierung dieser Religion im Islamismus vorgehen. Wir sollten deutlich machen, dass Islam selbstverständlich nicht Gewalt eo ipso bedeutet. Das sind Fragen, die wir übrigens gerade jetzt im Zentralkomitee der Deutschen Katholiken behandeln. In dem am ZdK angesiedelten Gesprächskreis "Christen und Muslime" sind wir gerade dabei, einen Text über Gewalt in Koran und Bibel zu erarbeiten. Da wird natürlich sehr viel differenzierter mit dem Islam umgegangen, als das in dem AfD-Papier der Fall ist.
Das Interview führte Silvia Ochlast.