Zehn Gebote für den Umgang mit schwierigen Jugendlichen

Falsche Freunde und andere Sorgen

Gestern noch mit Puppen gespielt und heute drogenabhängig? So krass muss es nicht kommen. Trotzdem entwickeln sich Kinder nicht immer so, wie Eltern es sich wünschen. Wichtig ist, miteinander im Kontakt zu bleiben, empfiehlt ein Erziehungsexperte.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Schwierige Zeit: Pubertät (shutterstock)

Die Eltern sind doof, die Schule nervt, und das Leben ist auch sonst kein Zuckerschlecken. So sehen viele Jugendlichen die Zeit zwischen elf und 18 Jahren – Pubertät genannt. Denn für die Mädchen und Jungen in diesem Alter gleicht das Leben einer einzigen Baustelle: Der Körper verändert sich mit jedem Tag ein bisschen mehr, die Hormone spielen verrückt, und auch im Gehirn gerät einiges durcheinander. Und als wäre das noch nicht genug, stürzt die erste Liebe die meisten Heranwachsenden in ein tiefes Gefühlschaos. Alles normal, könnte man meinen. Aber was, wenn sich mit einem Mal ein Haufen ernstzunehmender Probleme auftürmt?

"Pubertät ist, wenn die Eltern schwierig werden." Nicht umsonst klebt dieser beliebte Spruch an mancher Kinderzimmertür. Aus der Sicht von Jugendlichen mag das auch zutreffen. Denn in dieser Phase werden für Teenager die eigenen Eltern zunehmend uncool und peinlich. Bisherige Erziehungsregeln werden hinterfragt oder strikt abgelehnt. Auflehnung und Rebellion sind angesagt. Der Umgangston wird rauer und alles, was bislang als selbstverständlicher Verhaltenskodex gegolten hat, auf den Prüfstand gestellt. Zumeist gewinnt dann an Attraktivität, was sich außerhalb dieser mehr und mehr als "Käfig" wahrgenommenen heimischen vier Wände abspielt und mal nicht mit steifem Reglement und spießigen Gewohnheiten zu tun hat. Verbotenes zu tun erhöht den Nervenkitzel, Grenzen auszuloten bekommt einen unwiderstehlichen Reiz. Außerdem ist die Pubertät eine Zeit des Zweifelns und der Unsicherheit. Zwischen Baum und Borke – so fühlen sich Pubertierende: keineswegs mehr als Kind, aber auch in der Welt der Erwachsenen noch nicht wirklich angekommen.

Expertentipps können hilfreich sein

Und noch etwas macht ihnen das Leben schwer: Weil auch das Gehirn im Umbruch ist, sind Jugendliche in der Pubertät besonders empfänglich für Einflüsse und Versuchungen von außen. Geht es dann um Nikotin, Alkohol und auch härtere Drogen, falsche Freunde oder sogar kriminelle Delikte, wird es für beide Seiten richtig ernst. Dann stoßen Erziehungsberechtigte auch schon mal ganz schnell an ihre Grenzen, wenn es zwischen den Generationen knirscht und unberechenbare Gefahren mitunter die in der Familie bislang vertraute Kommunikation abreißen lässt, weil das eigene Kind auf Abschottung und Selbstbestimmung setzt.

An diesem Punkt können Expertentipps durchaus hilfreich sein. Dafür plädiert jedenfalls Josef Zimmermann, Leiter der katholischen Beratungsstelle für Eltern, Kinder und Jugendliche in Köln, und empfiehlt "zehn Gebote" im Umgang mit schwierigen Teenagern, die er als "Handlungsoptionen" verstanden wissen will. Erfahrungsgemäß, so sagt er, könnten junge Menschen mehr damit anfangen, wenn – statt mit rigiden Verboten – mit ermutigenden Hinweisen wie "Probier’s doch mal so" argumentiert werde und Eltern ihre Wünsche unmissverständlich benennen würden. Die eigene Erwartung dürfe und müsse sogar – zur Orientierung der Jugendlichen – eindeutig ausgesprochen werden, um letztlich einen gemeinsamen Weg miteinander auszuhandeln. "Klare Regelungen sind dann konkrete Handlungsumsetzungen", betont Zimmermann.

Herausfinden: Wie weit kann ich gehen?

Dabei sei es wichtig, sich als Erwachsener dem eigenen Kind gegenüber respektvoll zu verhalten und – trotz mancher Wut, Empörung oder Enttäuschung – nicht auf gleicher Ebene zurückzuschlagen oder den anderen gar zu demütigen, so der Erziehungsberater. "Eines dieser Gebote kann dann sein, dass ich erst einmal von der Ich-Form ausgehe und betone: Ich bin zutiefst verletzt, und ich wünsche mir… Das wäre dann eine konkrete Regelung, die ich mir selber gebe." Manchmal wollten Jugendliche mit ihrer Renitenz aber auch nur herausfinden: Wie ticken die Erwachsenen eigentlich? Wie weit kann ich gehen?

Und was, wenn Jugendliche einfach Ge- und Verbote ignorieren und sich – wie bei einer Mutprobe – einmal ausprobieren wollen, weil Experimente den Reiz des Fremden haben? Was ist zu tun, wenn da wirklich etwas entgleitet? "Dann muss es notwendigerweise Konsequenzen und Sanktionen geben, damit Jugendliche auch spüren, dass wahrgenommen und bewertet wird, wenn sie zuviel riskieren. Denn nur was wirklich Beachtung findet – und wenn es provokatives Verhalten ist – hat aus deren Sicht auch einen Wert", erklärt der Psychologe. Das betreffe auch den Konsum von Nikotin und Alkohol. Die Erfahrung lehre, dass gerade überbehütete Jugendliche, bei denen zuhause Alkoholkonsum mit einem Verbot belegt sei, mehr als Jugendliche, in deren Elternhaus Alkohol als ganz normales Genussmittel gelte, den Kitzel spürten, sich über die elterliche Weisung hinwegzusetzen. "Und dann kann Unerfahrenheit ganz schnell in einen Exzess umschlagen und Kinder in eine Abhängigkeit hineinrutschen, aus der sie so schnell nicht wieder herauskommen – auch weil sie keine Vorbilder hatten, sich nichts abschauen konnten und von daher nie gelernt haben, maßvoll damit umzugehen."

Präsenz zeigen, beharrlich bleiben und nicht aufgeben

Trotzdem entstehe eine Suchtproblematik bei Jugendlichen meist erst, wenn andere Faktoren wie eine mangelnde soziale Einbindung noch dazukämen und sie die Erfahrung machten, Frust nicht in der Familie oder bei Freunden ablassen zu können, sondern nur mit Drogen zu entspannen. Entscheidend sei, gibt der Fachmann zu bedenken, wie Jugendliche mit Spannungszuständen umgingen und wie sie Leere, Fülle oder Sinnhaftigkeit erlebten. Denn allen Formen von Sucht – das könne Essen, Trinken und Drogen genauso wie Spielen oder Arbeiten betreffen – lägen seelische Problematiken zugrunde, betont Zimmermann. Allerdings betreffe das nur etwa zehn bis 20 Prozent der Jugendlichen. Bei ihnen spielten dann oft sozioökonomische Schwierigkeiten, also ein wackeliges Familiengefüge und auch das Thema Armut, mit hinein. Laut Umfragen sagten dagegen 80 bis 90 Prozent aller Jugendlichen aus, dass die Familie grundsätzlich das Wichtigste sei, und bezeichneten ihr Verhältnis zu den Eltern durchweg als gut. Bei diesen Jugendlichen sei es eher so, dass sie sich von den Eltern zwar genervt fühlten, aber trotz einer pubertätsbedingten Krise dennoch in einem stabilen Kontakt zu ihnen stünden.

Ein wichtiges Gebot für Eltern von Kindern in der Pubertät könne zudem sein, auf die eigene Präsenz zu setzen und immer wieder Angebote zu unterbreiten – auch dann, wenn Jugendliche sich launisch zeigten, mehr Rückzugsmöglichkeiten einforderten oder bereits etwas richtig schief gelaufen sei. Für diesen Fall lautet die Empfehlung des Erziehungsberaters: Nicht aufgeben! Trotz der eigenen Berufstätigkeit und daher zunehmend wenigen Zeit miteinander wenigstens eine gemeinsame Mahlzeit am Tag zum Gespräch nutzen und beharrlich bleiben, auch wenn Heranwachsende auf freundliche Ansprache mit Einsilbigkeit reagierten. Und immer wieder dem eigenen Kind mit Freundlichkeit und Respekt begegnen – wenn möglich auch mit Toleranz und auf Augenhöhe – selbst wenn darin oft die eigentliche Anstrengung bestehe.

Sich nicht zu früh aus der Erziehung verabschieden

Und wie umgehen mit sogenannten "falschen Freunden" – vielleicht sogar aus dem Chat – die so gar nicht ins eigene Weltbild passen? Was können Eltern tun, wenn sich anfängliche Probleme – auch unter schlechter Einflussnahme – zuspitzen, es schließlich um Schuleschwänzen und ernsten Drogenkonsum geht, die Verbindung zueinander abreißt und aus der elterlichen Überforderung Hilflosigkeit wird? "Zunächst Öffentlichkeit herstellen", so der Rat Zimmermanns, "und – statt eine Standpauke zu halten – offen in die Verwandtschaft oder Nachbarschaft kommunizieren: Wir haben ein Problem. Um gleichzeitig von hier auch Unterstützung einzufordern." Ein solches Geständnis sei der erste und wichtigste Schritt zu einem Lösungsweg. Auch um als Erzieher Souveränität zu zeigen und zu demonstrieren: Ich kümmere mich. "Einer muss dann abends eben ganz konkret an der Haustüre stehen und den Jugendlichen am Ausgehen hindern, damit er keine Chance hat, wieder sturzbetrunken nach Hause zu kommen." Schließlich gehöre es zum genetischen Programm von Eltern, eine drohende Gefahr für ihr Kind abwehren zu wollen. Grundsätzlich empfiehlt der Leiter der katholischen Beratungsstelle allen Eltern, sich nicht zu früh aus der Erziehung zu verabschieden und – erstrecht in einer möglichen Gefährdungssituation – die "Weckrufe" ihres Kindes nach Beachtung und Aufmerksamkeit nicht zu überhören.

Konsequenz als Ausdruck einer standfesten Liebe

Im Bedarfsfall könne die Inanspruchnahme einer Beratungsstelle als flankierende Hilfe dienen. "Benötigen Eltern Unterstützung, wird hier ein erstes Notfall-Programm besprochen und sie dabei ermutigt, konsequent zu sein und trotzdem ihrem Kind auch zu signalisieren: Ich stehe zu Dir." Hierbei gehe es um die Verpflichtung, Elternschaft auszuüben und gleichzeitig notwendige Konsequenz zu zeigen – "auch weil das im Endeffekt Ausdruck einer standfesten Liebe ist". Aber auch Eltern, die – positiv wie negativ – sehr mit sich beschäftigt seien, könnten mit einer Beratung gestärkt werden, um in ihrer Rolle für das eigene Kind wieder anwesend zu sein und Fürsorge ausüben zu können. Dabei sei "Autorität ohne Gewalt" genauso eines der erstrebenswerten Ziele im Umgang mit schwierigen Teenagern wie die Bereitschaft, im Gespräch zu bleiben, dann ein Stück weit auch zu vertrauen und jederzeit einen Rückweg offenzuhalten. "Letztlich müssen Eltern aushalten können, dass Jugendliche ihre eigene Lebenslust ausprobieren wollen, auch wenn sie dafür schon mal an der einen oder anderen Grenze kratzen."


Schwierige Zeit: Pubertät (shutterstock)
Quelle:
DR