DOMRADIO.DE: Haben sich die Aufrufe der Kirchen zur Beteiligung an der Wahl gelohnt?
Franz-Josef Overbeck (Vize-Präsident der Kommission der Bischofskonferenzen der Europäische Union, COMECE): Es hat sich auf jeden Fall gelohnt darauf zu setzen, dass ein demokratisches Projekt "Europa" auf Dauer Sinn hat und, dass wir es unterstützen. Von daher ist das für mich ein Zeichen einer reifen Demokratie, die sich auch europaweit immer mehr durchsetzt. Ich bin daher sehr froh, dass so viele zur Wahl gegangen sind.
DOMRADIO.DE: Die AfD ist in Deutschland unter ihrem Ergebnis der Bundestagswahl gelandet. Trotzdem bekommen die Rechtspopulisten definitiv mehr Sitze in Brüssel. Ist das eine gute oder eine schlechte Nachricht?
Overbeck: Das ist eine Nachricht, die im Blick auf das Zustandekommen von Mehrheiten zur Herausforderung wird und die auch zeigt, dass sich das Wählerverhalten mehr diversifiziert, als das in früheren Zeiten der Fall war. Gleichzeitig freue ich mich im Blick auf Deutschland, dass die Befürchtungen, die ja bestanden, dass diese Gruppe mehr Stimmen bekäme als sie jetzt bekommen hat, sich nicht bewahrheitet haben. Auch das ist für mich ein Reifezeugnis der Wähler.
DOMRADIO.DE: Welche Konsequenzen wird das für die COMECE, die Bischoffskommission auf europäischer Ebene, haben?
Overbeck: Auf der Ebene der COMECE werden wir sicherlich sehen, dass erst einmal die hohe Wahlbeteiligung uns gemeinsam in die Verantwortung nimmt, nämlich zu zeigen, dass wir auch als Kirchen fähig sind gemeinsame Positionen im europäischen Maßstab zu formulieren. Im Rahmen des Wahlaufrufs ist das ja schon gelungen. Das müsste jetzt bei einigen anderen Themen auch deutlicher werden können. Vor allen Dingen bei den ethischen Themen, die vor uns liegen, wie mit Blick auf die Digitalität im Pflegebereich, aber auch im Blick auf Fragen nach Lebensanfang und Lebensende. Gleichzeitig bin ich aber auch der Überzeugung, dass wir als katholische Kirche auch weit aufgestellt sind und es deswegen verschiedene Resonanzen in unterschiedlichen Ländern gibt. Für Deutschland ist das jetzt klar was das heißt, aber in einigen anderen Ländern sind das größere Herausforderungen, die sich natürlich auch in unseren Diskussionen abbilden. Gleichzeitig glaube ich, gehört das auch zu einer reifen Demokratie, dass Auseinandersetzung, Konflikt und das Suchen nach Kompromissen etwas Selbstverständliches wird.
DOMRADIO.DE: In Deutschland sind die Grünen die zweitstärkste Kraft bei den Europawählern, vermutlich im Zusammenhang mit dem Thema Klimaschutz. Wir haben viel diskutiert über "Fridays for Future", über die Klimapolitik auf Bundesebene und auf Europa-Ebene. Auf der anderen Seite müsste man ja denken, dass für die Christen auch die CDU eine Partei wäre, die für die Erhaltung der Schöpfung einsteht. Das steht ja auch im Wahlprogramm.
Overbeck: All diese Themen sind in den 1980er Jahren über die Grünen in die politische Landschaft eingespielt worden, daran kann ich mich noch bestens erinnern. Natürlich ist das Thema als Bewahrung der Schöpfung auch ein bedeutsames Thema der Kirchen geworden. Papst Franziskus hat mit seiner Enzyklika "Laudato si" dafür ein gutes Beispiel gegeben. Mit der "Fridays for Future"-Bewegung zeigt sich natürlich auch, dass die Sensibilität für ökologische Themen weit über die Parteien hinaus Menschen bindet. Von daher glaube ich, dass das zu den großen Themen gehört. Auch im Verhältnis zur Ökonomie. Das Verhältnis muss gefunden werden, zu den Herausforderungen, die wir in den nächsten Zeiten zu bestehen haben. Das ist ein Ausrufezeichen für die CDU, aber auch ein Ausrufezeichen für die Grünen, die jetzt so viele Stimmen bekommen haben. Es bleibt aber auch ein Ausrufezeichen für die FDP, aber auch für die SPD.
DOMRADIO.DE: Sie sind nicht bloß Vizepräsident der EU-Bischofskommission, COMECE, sondern auch der Bischof von Essen. Das Ruhrgebiet ist eine typische Arbeiterregion. Die SPD setzt ihren Abwärtstrend fort und hat ein historisch niedriges Ergebnis bekommen. Kommt die sozialdemokratische Botschaft nicht mehr bei den Wählern an?
Overbeck: Mir scheint es eine Frage der Themen zu sein, die bespielt werden, dass sie zu einer großen Herausforderung für die Wählerzustimmung im Blick auf die SPD werden. Dieser Trend ist ja schon seit einiger Zeit offensichtlich. Ich denke dabei aber trotzdem auch an die großen Leistungen dieser Partei für das Ruhrgebiet, aber auch weit darüber hinaus. Denken wir an Deutschland und an Europa. Von daher kann ich nur sagen, das, wofür die SPD immer auch eingestanden ist, Solidarität und das Soziale, bleiben Themen und müssen weiter Parteien finden, die für diese Themen einstehen. Ich bin sicher, die SPD wird es auch weiterhin tun.
Das Interview führte Renardo Schlegelmilch.