"Von einem breiten Teil der Gesellschaft werden das Problem und die Gefahr des Antisemitismus nicht erkannt", sagte der Präsident des Zentralrats, Josef Schuster, der "Passauer Neuen Presse" am Samstag. Bei vielen herrsche der Eindruck vor, das gehe nur Juden etwas an. "Judenfeindlichkeit ist ein Beleg dafür, dass etwas in der demokratischen Struktur nicht stimmt. Das ist ein Problem für die gesamte Gesellschaft."
Rote Linie habe sich verschoben
Schuster kritisierte einen Wandel in der Gesellschaft. "Antisemitismus wird inzwischen frei gelebt", sagte er. "Wenn es jetzt auch in bürgerlichen Stadtvierteln wie in Berlin Prenzlauer Berg solche Angriffe und Gewalt gibt, ist das erschütternd." Es habe sich eine "rote Linie" verschoben, Judenhass werde von Flüchtlingen auch oft mitgebracht.
"Fakt ist, dass mehr antisemitische Vorfälle registriert werden. Zugleich herrscht aber heute auch eine höhere Sensibilität, und es sind mehr Menschen bereit, solche Fälle zu artikulieren und anzuzeigen. Das ist gut und richtig."
Niedrigschwelliges Meldesystem gefordert
Die Betroffenen hätten leider zu lange aus falscher Scham heraus geschwiegen und sich nicht artikuliert, fügte Schuster hinzu. Deshalb müsse ein niedrigschwelliges Meldesystem für antisemitische Taten entwickelt werden. "Wir prüfen jetzt etwa in Bayern, ob wir ein Meldesystem in den jüdischen Gemeinden einrichten können. Die Anzeigen und Nachrichten könnten dann an eine Institution weitergegeben und gegebenenfalls verfolgt werden."
Das Gros der antisemitischen Straftaten werde als rechtsextremistische Gewalt registriert, sagte er. "Hier müssen wir genauer hinschauen und differenzieren."