DOMRADIO.DE: Die Ereignisse in Magdeburg haben viele Menschen zutiefst erschüttert. Welche Auswirkungen haben solche Anschläge auf die muslimische Gemeinschaft in Deutschland?
Abdassamad El-Yazidi (Interimsvorsitzender des Zentralrats der Muslime): Erlauben Sie mir, zunächst mein tiefes Mitgefühl mit den Familien der Opfer und meine Solidarität mit den Verletzten auszudrücken. Wir dürfen bei allen politischen Diskussionen nicht die menschliche Dimension aus den Augen verlieren. Solche Attacken hinterlassen nicht nur Schmerz, sondern auch eine gesellschaftliche Narbe.
Für Muslime in Deutschland haben diese Ereignisse oft eine doppelte Tragik. Einerseits sind wir genauso Opfer solcher Anschläge wie alle anderen Bürgerinnen und Bürger. Andererseits erleben wir immer wieder, dass Muslime unter Generalverdacht gestellt werden. Es ist erschütternd, dass in einer Demokratie wie der unseren ein solches Klima des Misstrauens und der Stigmatisierung existiert.
DOMRADIO.DE: Die Statistiken zeigen, dass islamfeindlicher Rassismus in Deutschland zunimmt. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
El-Yazidi: Die Zahlen sind eindeutig und alarmierend. Wir sehen eine stetige Zunahme an antimuslimischem Rassismus, der sich nicht nur in Worten, sondern auch in Taten äußert. Was uns jedoch besonders erschüttert, ist die Untätigkeit der Politik.
Eine von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Studie zu Muslimfeindlichkeit hat klare Handlungsempfehlungen gegeben. Doch diese wurden schlicht ignoriert. Das vermittelt Muslimen das Gefühl, im Stich gelassen zu werden. Junge Menschen denken darüber nach, auszuwandern, weil sie sich hier nicht akzeptiert fühlen. Das ist eine Gefahr für die gesamte Gesellschaft, nicht nur für uns Muslime.
DOMRADIO.DE: Können Sie Akteure oder Strukturen benennen, die diese Islamfeindlichkeit befeuern?
El-Yazidi: Es gibt in Deutschland eine regelrechte "Islamhass-Industrie", die sich hinter dem Deckmantel der Islamkritik versteckt. Diese Akteure nutzen soziale Medien und öffentliche Plattformen, um Hetze zu verbreiten. Gleichzeitig erleben wir, dass Politik und Gesellschaft oft wegschauen, wenn Muslime stigmatisiert werden.
Die Ereignisse in Magdeburg zeigen, wohin das führen kann. Der Täter hat über Jahre hinweg islamfeindliche Inhalte veröffentlicht und sich so radikalisiert. Es ist unerträglich, dass solche Stimmen immer wieder eine Bühne bekommen.
DOMRADIO.DE: Was erwarten Sie von Politik und Gesellschaft, um diese Probleme anzugehen?
El-Yazidi: Zunächst einmal müssen die Empfehlungen der erwähnten Studie endlich umgesetzt werden. Dazu gehören strengere Regeln für soziale Medien, klare Positionierungen der Politik und mehr Schutz für muslimische Einrichtungen.
Es ist jedoch auch eine gesellschaftliche Aufgabe. So wie Antisemitismus nicht nur ein Problem der jüdischen Gemeinschaft ist, ist Islamfeindlichkeit nicht nur unser Problem. Es braucht ein gemeinsames Engagement aller Bürgerinnen und Bürger.
DOMRADIO.DE: Lassen Sie uns den Blick weiten: Welche Rolle spielt Religion im politischen Alltag und bei der Bundestagswahl?
El-Yazidi: Religion ist für viele Menschen in Deutschland ein wesentlicher Bestandteil ihres Lebens und prägt ihre Werte. Deshalb ist es wichtig, dass Religion auch in der politischen Debatte ihren Platz hat – nicht parteipolitisch, sondern als moralischer Kompass.
Wir im Zentralrat der Muslime fördern politische Partizipation, etwa mit der Kampagne "Meine Stimme zählt". Wir wollen, dass Muslime ihre Stimme erheben und sich für Demokratie und Vielfalt einsetzen.
DOMRADIO.DE: Welche Botschaft möchten Sie den Menschen in Deutschland zur Weihnachtszeit mitgeben?
El-Yazidi: Weihnachten ist eine Zeit des Zusammenhalts. Für Christen, Muslime, Juden und Nichtglaubende gleichermaßen. Es erinnert uns daran, dass wir alle Teil einer großen, vielfältigen Gesellschaft sind.
Meine Botschaft ist: Lassen Sie uns gemeinsam als Bürgerinnen und Bürger dieses Landes für ein Miteinander einstehen, das von Respekt und Solidarität geprägt ist. Das ist der Weg, wie wir Hass und Hetze überwinden können.
Das Interview führte Moritz Dege.