Zu Besuch im "Camp der alten Frauen" in Ghana

Machtlos gegen die Anschuldigungen

Vor 250 Jahren gab es in Deutschland den letzten Hexenprozess. In Ländern wie Ghana werden Frauen noch heute beschuldigt, verfolgt und ausgegrenzt. Auch wenn es Hilfe gibt, bleibt ihr Weg in ein neues Leben steinig.

Autor/in:
Harald Oppitz
Frauen teilen eine Lieferung Mais auf bei einer Versammlung im "Camp der alten Frauen" nahe Gushiegu (Ghana) / © Harald Oppitz (KNA)
Frauen teilen eine Lieferung Mais auf bei einer Versammlung im "Camp der alten Frauen" nahe Gushiegu (Ghana) / © Harald Oppitz ( (Link ist extern)KNA )

Ihr Dorf ist auf keiner Landkarte verzeichnet und schwer erreichbar. In der Regenzeit gelangt man nur mit einem Geländewagen oder einem einstündigen Fußmarsch über einen ausgewaschenen Trampelpfad in das "Camp der alten Frauen" - ein kleines Rinnsal wird dann selbst nach kurzen Regenfällen zu einem hüfthohen Bach. 

In dem Dorf mit Lehmhütten zwischen Maisfeldern und Sojaplantagen leben rund 90 Frauen und eine Handvoll Kinder. Die Frauen sind nicht freiwillig hier: Sie alle wurden als Hexen beschuldigt und aus ihren Dörfern vertrieben.

In der ländlichen Region im Norden von Ghana spielen traditionelle Religionen noch eine große Rolle - und der Glaube an Hexen ist allgegenwärtig. Werden Frauen der Hexerei bezichtigt, haben sie und ihre Familie keine Chance, sich dagegen zu wehren. Ihnen bleibt nur die Flucht. Eifersucht und Missgunst sind meist die Gründe für die Anklage: Oft sind es die zweiten Frauen in einer polygamen Ehe, die auf diese Art eine Konkurrentin loswerden wollen.

Schwester Ruphina, Ordensschwester der Missionsschwestern der Ärmsten der Armen, spricht mit Salamatu Nanle und deren Sohn Joshua im "Camp der alten Frauen" nahe Gushiegu (Ghana) / © Harald Oppitz (KNA)
Schwester Ruphina, Ordensschwester der Missionsschwestern der Ärmsten der Armen, spricht mit Salamatu Nanle und deren Sohn Joshua im "Camp der alten Frauen" nahe Gushiegu (Ghana) / © Harald Oppitz ( (Link ist extern)KNA )

So auch bei Salamatu Nanle: Als jemand in der Familie schwer erkrankte, soll sie schuld gewesen sein. "Die Männer und Frauen aus dem Dorf schlugen auf mich ein, obwohl sie wussten, dass ich schwanger war." Sie musste vor zwölf Jahren fliehen, das Baby kam im Camp zur Welt: Heute steht ihr Sohn Joshua neben ihr. Er hat in seinem Leben nichts anderes gesehen als dieses Dorf der verstoßenen Frauen.

Machtlos gegen die Anschuldigungen

Manchmal begleiten Kinder oder Jugendliche aus der Familie die Frauen, vor allem, wenn die Vertriebenen schon zu alt oder schwach sind, um sich um sich selbst zu kümmern oder wenn die Anklage von außerhalb der Familie kommt. Zuweilen besuchen vereinzelt Familienmitglieder ihre Verwandten hier. Doch gegen die Anschuldigungen sind sie alle machtlos: Versuche der Regierung, Frauen zurück in ihre Dörfer zu bringen, sind größtenteils gescheitert.

Mit den Bewohnern des Ortes Gushiegu gibt es kaum Probleme, Angst vor der angeblichen Hexenkraft scheint niemand zu haben, denn dieser gelte - so der Glaube - nur im Heimatdorf. Diese stille Toleranz ist zwar weit entfernt von einer Willkommenskultur, aber immerhin fühlen sich die Frauen hier sicher.

Hohe Bäume begrenzen die Lehmhütten im "Camp der alten Frauen" nahe Gushiegu (Ghana) / © Harald Oppitz (KNA)
Hohe Bäume begrenzen die Lehmhütten im "Camp der alten Frauen" nahe Gushiegu (Ghana) / © Harald Oppitz ( (Link ist extern)KNA )

Schon allein, weil ihnen nichts anderes übrigbleibt, helfen sich die Verstoßenen gegenseitig. Gleiches Schicksal verbindet: Die Jüngeren unterstützen die Alten und Kranken, auch wenn niemand ein geregeltes Einkommen hat. Einige versuchen, den Farmern in der Umgebung bei der Ernte zu helfen, sammeln Feuerholz zum Verkauf auf dem Markt oder kehren nach Marktschluss heruntergefallene Körner und Samen vom Erdboden mit Besen ein und reinigen sie zu Hause. Was sie selbst nicht essen, verkaufen sie in kleinen Tüten wieder auf dem Markt.

Singen bei der Lebensmittelausgabe

Trotz allem wird in dem Dorf auch gelacht. Zu einem nicht unerheblichen Teil liegt das an den energiegeladenen Ordensschwestern der Kongregation "Missionsschwestern der Ärmsten der Armen", die auch heute trotz heftiger Regenfälle zu Besuch sind. Mit ihrem Geländewagen haben sie vier Säcke Mais mitgebracht, die unter lautem Gesang verteilt werden. Seit 2012 widmen sie ihre Arbeit den Frauen und Kindern im Camp, haben extra außerhalb der Stadt Gushiegu ihren Konvent in der Nähe des Dorfes gebaut. Seit 2018 gibt es auf ihrem Areal "Maryland" eine Grundschule.

Seit die Schwestern hier leben, wurde im Camp ein Tiefbrunnen gebohrt, der die Frauen mit frischem Wasser versorgt und sogar die Bauern von den Feldern der Umgebung zu einem Besuch einlädt. Einige Solarlampen spenden nach Sonnenuntergang etwas Licht; durch ein Hilfsprojekt wurden drei Steinbaracken gebaut. Herzensprojekt der Schwestern ist aber die Bildung der hier lebenden Kinder. Schwester Ruphina ist sich sicher: "Die Kinder können der Stigmatisierung auf Dauer nur entgehen, wenn sie einen Schulabschluss haben. An einer Universität fragt dich niemand, woher Du kommst."

Toleranz lernen - ganz nebenbei

Am nächsten Morgen beginnt die Schule mit einem Morgenappell im Hof.

Die Kinder stehen in Schuluniform wie Orgelpfeifen aufgereiht, klatschen und singen. Auch Joshua ist dabei. Eine halbe Stunde Fußmarsch liegt hinter ihm - und am Fluss musste er seine Uniform ausziehen, denn das Wasser reichte dem Zwölfjährigen bis zum Gürtel.

Joshua kommt gerne zur Schule und hat hier neben Rechnen auch schon sehr gut Englisch gelernt. In seiner Klasse sind die Kinder bunt gemischt - aus dem Camp der Frauen und aus der Stadt Gushiegu. Dass die Schwestern einen guten Unterricht anbieten, hat sich herumgesprochen. "Die Eltern aus der Stadt zahlen eine kleine Schulgebühr - damit finanzieren wir die Lehrerinnen", erklärt Schwester Ruphina.

Zwei alte Frauen sitzen vor einer Lehmhütte im "Camp der alten Frauen" nahe Gushiegu (Ghana) / © Harald Oppitz (KNA)
Zwei alte Frauen sitzen vor einer Lehmhütte im "Camp der alten Frauen" nahe Gushiegu (Ghana) / © Harald Oppitz ( (Link ist extern)KNA )

Und die Kinder aus dem Ort merken, dass die "Hexenkinder" normale Jungen und Mädchen sind wie sie selbst: Spielend lernen sie Toleranz.

Auch drei von Albinismus betroffene Kinder gehören ganz selbstverständlich zu den Schulkindern. Die Schwestern haben die Mädchen im Konvent aufgenommen, weil "Albinos" in der schwarzafrikanischen Bevölkerung bis heute extrem gefährdet sind: Als teuflisch stigmatisiert, werden sie häufig verfolgt und bedroht.

Weitere Hilfsprojekte sind geplant

Nach dem regulären Unterricht bleiben viele Kinder freiwillig in Maryland, um Fußball zu spielen oder in Kursen Nähen zu lernen.

Schwester Ruphina sitzt lächelnd daneben. "Gerade die Kinder aus dem Camp sind so wissbegierig und lerneifrig", sagt sie. Und doch wirkt die Leiterin des Konvents nachdenklich: "Zur Zeit können wir den Kindern eine Schulbildung bis zum Abschluss der Grundschule bieten, doch danach finden wir keine Möglichkeit der Weiterbildung für sie."

In Gushiegu ist an den Schulen kein Platz für sie - noch nicht.

Deshalb werden die Ordensschwestern ihr Schulangebot wortwörtlich ausbauen - ein neues Gebäude ist in Planung, das katholische Hilfswerk Missio unterstützt sie bei dem Bau. Denn nach einem anerkannten Schulabschluss könnten die Kinder auch in anderen Städten eine Ausbildung finden, sagt die Ordensschwester: "Und niemand fragt sie dann, woher sie kommen."

Joshua hat schon Zukunftspläne, er will später zum Militär. "Ich möchte Soldat werden", sagt der Junge. "Dann kann ich die Frauen im Camp vor Angriffen beschützen."

Das Hilfswerk missio

Das Internationale Katholische Missionswerk missio mit Sitz in Aachen und München ist eines von weltweit mehr als 100 Päpstlichen Missionswerken. Missio München ist das Missionswerk der bayerischen, missio Aachen das der anderen deutschen Bistümer. Das Wort missio kommt aus dem Lateinischen und bedeutet Sendung.