Die 24 Friedhöfe haben eine Fläche von 126 Hektar - und teils so üppige, parkähnliche Brachen, dass die Verantwortlichen überlegen, dort Schafe weiden zu lassen oder Obstgärten zu pflanzen. Auf dem Friedhof Manegg fressen schon seit einigen Jahren ein Dutzend Paarhufer auf Probe.
Zürich-Wiedikon, Tramstation "Krematorium Sihlfeld". Hier beginnt das weitaus größte Gräberfeld der Stadt. Oder ist das ein Park? Im Eingang die vergleichsweise unscheinbare Grabstätte für den Rot-Kreuz-Gründer Henri Dunant; danach öffnen sich hinter einem pompösen steinernen Tor fast unendliche Weiten. Wird denn so gar nicht mehr gestorben in Zürich?
"Der Friedhof Sihlfeld wurde ursprünglich als Zentralfriedhof geplant", erklärt Bruno Bekowies, stellvertretender Leiter des Bestattungs- und Friedhofamtes. "Allerdings wurden dann die kleinen Quartierfriedhöfe weitergeführt." Zudem sei der Anteil an Erdbestattungen immer weiter zurückgegangen. Heute würden 87 Prozent aller Verstorbenen eingeäschert.
Was tun mit den Freiflächen?
Auch ein deutlicher Trend zum Gemeinschaftsgrab bedeutet, dass die freien Flächen weiter zunehmen. Für nur 200 Franken Gebühr wird die Urne mit der Asche des Verstorbenen auf einem kleinen, anonymen Rasenstück beigesetzt. Verwendung finden hier auch sogenannte kompostierbare Urnen aus löslichem Ton - das heißt, die Asche vermischt sich binnen weniger Wochen mit der Erde. Manchmal bleibt das Gemeinschaftsgrab gänzlich anonym. Parkbänke, Stühle und Blumenvasen mitten auf der Wiese bieten ein noch ungewohntes Bild. Jedoch: Ließen sich vor 25 Jahren noch lediglich 7,4 Prozent der Zürcher Bevölkerung in Gemeinschaftsgräbern besetzen, waren es 2009 bereits 36 Prozent.
Was tun also mit den Freiflächen, die schon jetzt viel von Spaziergängern, Lesern und Müttern mit Kinderwagen frequentiert werden? Kunstausstellungen, Obstwiesen, Blumenwiesen zum Selberpflücken, Schafweiden? Liegewiesen für Leichtbekleidete, Joggingstrecken, Mountainbike, Chillout-Partys und Ghettoblaster gehen allerdings gar nicht, meinen die Stadtverantwortlichen.
Markus Huppenbauer, Ethik-Professor für an der Uni Zürich, zeigt sich skeptisch. Ein "definierter Ort" zum Totengedenken sei "kulturell wertvoll". Auf Friedhöfen könne man sich in Ruhe mit dem Tod beschäftigen - was, mit Friedrich Dürrenmatt gesprochen, "die Wurzel der Kultur" darstellt. Bei zusätzlichen Nutzungen, so Huppenbauer, gehe dieser Sinn verloren.
Auffällig aus Sicht des Friedhofstouristen ist eine in weiten Teilen eher wenig einfallsreiche Grabgestaltung. Wo es sich nicht um die Stelen europäischer Geistesgrößen wie James Joyce, Elias Canetti oder Mascha Kaleko handelt, scheinen den in der Mehrheit reformierten Zürchern schlichte Holz- oder Steinkreuze mit Namen und Lebensdaten vielfach zu genügen.
Vorschriften werden gelockert
Doch auch hier wollen die Verantwortlichen offenbar gegensteuern. Nicht nur, dass zum 1. September die strengeren Vorschriften für Grabmale gelockert wurden, um den Mut zu Neuem zu fördern. Auch wurden in Sihlfeld wiederholt "Mustergrabfelder" eingerichtet. Sie sollen einerseits schöne Grabsteine erhalten helfen; vor allem aber sollen sie zeigen, was im Rahmen des Reglements möglich ist: eine Verbindung von Stein mit Glas, Stahl oder Glockenspielen.
Ihr grünes Herz hat die Stadtverwaltung längst entdeckt - als sie 1996 eine "naturnahe Grünflächenpflege" einführte. Friedhöfe seien wichtige Rückzugsgebiete für Pflanzen und Tiere, betont man im geduldigen Gespräch mit den Besuchern. Die wundern sich mitunter über abgeblühte Wiesen auf stillgelegten Grabfeldern, über liegengelassene Äste oder Baumstrünke, die für Insekten, Igel, Füchse und Spechte wichtig sind. Es gilt, die "Unkrauttoleranz zu erhöhen". Und, mal ehrlich: Sind Schafe auf einem Friedhof nicht auch ein friedlicher Anblick?
In Zürich finden immer weniger Menschen auf Friedhöfen ihre letzte Ruhe
Schafe am Gottesacker
Zürich ist ein teures Pflaster: bis zu 10.000 Franken Jahresmiete für ein Ladenlokal auf der Bahnhofstraße - pro Quadratmeter wohlgemerkt. Der Bankenplatz Zürich kann es sich leisten. Umso erstaunlicher ist die Großzügigkeit außerhalb des Zentrums auf den Friedhöfen.
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