Zum 90. Geburtstag von Ilse Aichinger

Eine schweigsame Autorin

Ihr Debütroman machte Ilse Aichinger in den 1950ern plötzlich bekannt: In "Die größere Hoffnung" befasste sich die Autorin mit ihren traumatischen Erfahrungen während des Nazi-Regimes. In den vergangenen Jahren ist es um die ohnehin schweigsame Autorin noch stiller geworden.

Autor/in:
Fabian Wahl
 (DR)

Ihren Werdegang hatte sich Ilse Aichinger eigentlich anders vorgestellt. "Ich wollte nie Schriftstellerin werden. Ich wollte Ärztin werden, das ist gescheitert an meiner Ungeschicklichkeit", bekannte sie einmal. Nach dem kürzlichen Tod von Barbara König gehört Aichinger zu einer der letzten Protagonistinnen der legendären "Gruppe 47". Der lockeren Schriftstellerverbindung trat sie 1951 bei und verliebte sich dort in den Schriftsteller Günter Eich (1907-1972).



In ihrem Erstlingswerk "Die größere Hoffnung" wird das halbjüdische Mädchen Ellen vom "arischen" Vater verleugnet und erlebt hautnah die Verfolgung der Juden in Wien. Bei Kriegsende scheint sich die Hoffnung auf Besserung zu erfüllen, Ellen wird aber von einer Handgranate zerrissen.

Mit diesem Werk sprach Aichinger den Millionen verfolgten Menschen aus der Seele. Über ihren Debütroman sagte sie bescheiden: "Als das Buch dann bei Fischer erschienen ist, stand noch immer viel zu viel drin. Ich wollte am liebsten alles in einem Satz sagen, nicht in zwanzig."



Holocaust überlebt

Aichinger wurde am 1. November 1921 als Zwillingsschwester in Wien geboren. Die Familie mit jüdischen Wurzeln wurde von den Nazis bis zum Tode drangsaliert. Ihre Großmutter und die jüngeren Geschwister der Mutter wurden deportiert und ermordet. Ihre Mutter musste ihren Beruf als Ärztin aufgeben. Sie und Aichinger wurden in ein Zimmer in direkter Nähe des Wiener Gestapo-Hauptquartiers gezwängt.



Beide überlebten wie Aichingers Schwester, die zuvor ins Ausland geflohen war. Das Leid und der Schmerz ließen Aichinger fortan nicht mehr los. "Man überlebt nicht alles, was man überlebt", schrieb sie einmal und meinte damit die Deportation ihrer Großmutter. Viele ihrer Texte und Erzählungen befinden sich auf einem poetischen Niveau, sind eher traurig geschrieben oder in eine Traumwelt entrückt.



Für ihre Erzählung "Der Gefesselte" erhielt sie den Immermann-Preis der Stadt Düsseldorf. Neben Erzählungen, Bänden und Gedichten schrieb die Autorin auch Hörspiele wie "Knöpfe", welches eindrucksvoll den eintönigen Arbeitsalltag von Fabrikarbeiterinnen schildert. Zudem wurde sie mit dem Nelly-Sachs-Preis der Stadt Dortmund, dem österreichischen Staatspreis für Literatur und dem Joseph-Breitbach-Preis geehrt.



Schweigen

In ihrem Heimatland wird die in Wien lebende Mutter von zwei Kindern als "Grand Dame der österreichischen Literatur" gefeiert. Wegen ihrer Zurückhaltung wurde sie auch schon die "schweigsamste unter den österreichischen Schriftstellerinnen" genannt. Der Schriftsteller "muss schweigen können und das Schweigen in seine Sprache hineinlassen oder es aufnehmen", sagt Aichinger.



Am Dienstag (1. November) wird die Österreicherin 90 Jahre alt.