Ein "Kardinal-Lehmann-Platz" in Mainz? Das scheint nun nicht mehr in allzu ferner Zukunft zu liegen. Ein Jahr nach dem Tod des langjährigen Bischofs wird in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt intensiv darüber nachgedacht, den beliebten Kirchenmann auf diese Weise zu würdigen. "Der Oberbürgermeister ist darüber mit allen Parteien im Austausch", sagte der stellvertretende Stadt-Pressesprecher Ralf Peterhanwahr. Es wäre eine weitere posthume Ehrung, nachdem die Gedenkmünze "Mainzer Weihnachtstaler 2018" bereits Lehmanns Konterfei zeigt.
Ehrung mit Hindernissen
Schon Ende April 2018 hatte die Mainzer CDU vorgeschlagen, einen Platz in der Innenstadt nach Lehmann zu benennen. Der Vorstoß kam damals nur wenige Wochen nach seinem Tod am 11. März. Die Stadt wollte aber erst das Trauerjahr abwarten. Nun werde das Thema wieder "virulent". Die Stadt will allerdings "nicht irgendeinen kleinen Platz hinten links in einem Außenbezirk" nach dem Kardinal benennen, sondern einen repräsentativen Ort in der Innenstadt. Doch: In Mainz stehen Ende Mai Kommunalwahlen an, und vieles spricht dafür, dass das Vorhaben erst danach in Angriff genommen wird.
Bistumssprecher Tobias Blum hatte sich bereits "grundsätzlich offen" für das Anliegen gezeigt, Lehmann als Ehrenbürger auf diese Weise "im Stadtbild zu ehren". Gleichwohl sei "dabei sicherlich keine besondere Eile geboten". Zum Vergleich: Nach Kardinal Hermann Volk (1903-1988), ebenfalls Ehrenbürger der Stadt Mainz, war 2004 ein Platz benannt worden, also 16 Jahre nach seinem Tod.
"Großer liebenswerter Mensch"
Allerdings: Als Lehmann starb, war dies ein weithin spürbarer Einschnitt. Vielen Menschen wurde klar, dass die katholische Kirche in Deutschland um eine prägende Figur ärmer geworden war. "Mit Kardinal Karl Lehmann verlieren wir wirklich eine große Persönlichkeit, einen großen liebenswerten Menschen", sagte damals sein Nachfolger, Bischof Peter Kohlgraf.
Am 11. März selbst wird im Mainzer Dom nach Angaben des Bistums zwar in den morgendlichen Gottesdiensten des Verstorbenen gedacht. Ein Extra-Termin mit Bischof Kohlgraf in Mainz sei an diesem Tag aber wegen der zeitgleichen Frühjahrsvollversammlung der Bischofskonferenz in Lingen "nicht möglich". Kohlgraf wird deshalb das "Jahresgedächtnis" für seinen Vorgänger erst am 17. März mit einem Gottesdienst im Mainzer Dom begehen. Lehmann würde diese Termin-Rochade sicher verstehen. 21 Jahre lang - von 1987 bis 2008 - war er Vorsitzender der Bischofskonferenz.
Was wusste Lehmann über Missbrauchsvorwürfe?
Aufgrund dieser herausgehobenen Position und Lehmanns fast 33-jähriger Tätigkeit als Mainzer Bischof war es auch nur eine Frage der Zeit, bis in der Missbrauchsdebatte kritische Nachfragen zu seinen früheren Einschätzungen gestellt wurden. Denn als 2002 ein Missbrauchsskandal in der US-Diözese Boston die Welt erschütterte und Lehmann damals vom Nachrichtenmagazin "Der Spiegel" gefragt wurde, ob die Situation in Deutschland vergleichbar sei, sagte er: "Wir haben das Problem nicht in diesem Ausmaß. Warum soll ich mir den Schuh der Amerikaner anziehen, wenn er mir nicht passt?"
Außerdem betonte Lehmann damals: "Es ist völlig klar, dass jeder Fall schon ein Fall zu viel ist. Man darf aber auch keine Massenhysterie anzetteln und so tun, als kämen diese Delikte en masse vor." Doch hier irrte der Kardinal. Als sein Nachfolger Kohlgraf im Februar 2019 auf die Äußerungen Lehmanns von 2002 angesprochen wurde, sagte er in der Beilage der Wochenzeitschrift "Die Zeit" "Christ und Welt": "Das war so unklug wie falsch. Kardinal Lehmann hat das selbst später auch zugegeben. Er hat das Ausmaß und die Tragweite des Skandals wie viele damals nicht realistisch eingeschätzt."
Akten lassen keine eindeutigen Schlüsse zu
Kohlgraf fügte hinzu: "Wie verbreitet der Missbrauch war, wie sehr er von systemischen Strukturen begünstigt wurde, war ihm nicht bekannt." Aus den Akten lasse sich aber nach jetzigem Stand "nicht erkennen, dass Kardinal Lehmann Täter bewusst gedeckt und Missbrauchstaten vertuscht hat", betonte Kohlgraf. Gleichwohl lässt er frühere Missbrauchsverdachtsfälle noch einmal überprüfen.
Ein Jahr nach dem Tod Lehmanns wird damit deutlich, dass die Wucht des Missbrauchsskandals dazu führt, dass auch das Handeln hochgeschätzter Kirchenführer hinterfragt wird.