"Denn wie der Morgen ohne Halten als Leuchten um die Erde geht", heißt es in einem bekannten Kirchenlied, "scheint auf in wechselnden Gestalten ein unaufhörliches Gebet." Ein nie versiegender Ruf zu Gott dringt seit September 2011 auch aus dem katholischen Gebetshaus in Augsburg. In dem umgebauten Fitness-Studio in einem Industriegebiet der Fuggerstadt gibt es einen Raum, in dem Tag und Nacht gebetet wird. Die charismatisch orientierte Gruppe lockt außerdem immer am Beginn des Jahres zu ihrer "Mehr"-Konferenz sehr viele Christen nach Augsburg.
Zum Treffen vom 3. bis 6. Januar erwartet Gebetshaus-Leiter Johannes Hartl rund 6.000 Gläubige aus ganz Europa. Auf dem Programm stehen Vorträge, Gottesdienste und weitere Veranstaltungen. Prominentester Gast ist der Passauer Bischof Stefan Oster. Rund zwei Drittel der Teilnehmer sind katholisch, aber es kommen auch Protestanten, viele von ihnen freikirchlich orientiert. "Das ist eine ökumenische Veranstaltung", so Hartl. Das Motto der Konferenz in der Augsburger Messe lautet diesmal "Real love - wahre Liebe".
"Inspirative Kraft für die Kirche"
Die Gebetshaus-Initiative wurde 2005 gegründet, zwei Jahre später ließen sich Hartl und seine Mitstreiter in Augsburg nieder. Er habe das "als Ruf Gottes empfunden", berichtet der 36-Jährige. Der damalige Bischof Walter Mixa öffnete der Bewegung, die heute 25 angestellte Mitarbeiter zählt, die Türen - doch viele in der Diözese blieben zurückhaltend. "Was wir machen, ist von der Optik her ungewöhnlich", räumt Hartl ein. Zudem gebe es Vorbehalte gegen schnell wachsende Gruppierungen. Die Frage sei aufgetaucht, "wie weit bei uns die Katholizität ausgeprägt ist".
Der verheiratete Vater von vier Kindern versteht seine Organisation als "inspirative Kraft für die Kirche". Ihre Mission sei es, Menschen für die Leidenschaft zum Gebet zu gewinnen. Man wolle "Kopf und Herz zusammenbringen" und dem Gebet ein lebendiges, junges Gesicht geben. "Uns geht es ernsthaft um Jesus Christus", umschreibt Hartl das Profil des Gebetshauses. "Da gibt es Überschneidungen zu Konservativen und zu Charismatikern. Aber wir sind nicht konservativ und auch nicht liberal."
Das ist zu spüren, wenn der aus der Diözese Regensburg stammende Theologe über den Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen oder Homosexuellen spricht. Über diese Themen werde blutleer und "mit falscher Betonung" diskutiert, wenn Grundfragen nicht geklärt seien, erläutert Hartl. "Nämlich: Wer ist Gott und was bedeutet er für mein Leben?"
Dankbarkeit und Wertschätzung, aber auch Bewusstsein um Gebrochenheit
Wenn Hartl auf die Kirche der Gegenwart blickt, empfindet er "Dankbarkeit und große Wertschätzung, obwohl ich um die Gebrochenheit der Kirche weiß". Jedoch habe die Kirche zumindest in Deutschland "die Zeichen der Zeit weitgehend nicht erkannt". Hartl beklagt eine "aggressive Säkularisierung" und eine "Destabilisierung im Inneren des Menschen", zudem beobachtet er eine Erosion christlicher Grundwerte.
Das Gebetshaus stellt dem nicht nur seinen unaufhörlichen Gottesruf entgegen, sondern auch eine sogenannte Jüngerschaftsschule. In ihr werden junge Leute jeweils zehn Monate lang unterwiesen. Auf dem Programm stehen dabei etwa Glaubensvertiefung, Bibelarbeit und persönliche Berufungsfindung. Berührungsängste zu evangelikalen Glaubensformen kennt Hartl nicht. Er spricht von "gegenseitiger Wertschätzung in großer Verschiedenheit". Wenn man ökumenisch das tue, was bereits möglich sei, sei schon viel erreicht. "Danach haben wir immer noch Zeit, uns um Differenzen zu zanken."
Die "Mehr"-Konferenz habe man 2008 "mit 130 Leuten angefangen", schildert der Gebetshaus-Leiter. Seitdem ist die Zahl der Teilnehmer stetig gewachsen. Die Kosten des Treffens ("ein ernstzunehmender Betrag") werden durch die Teilnehmergebühren gedeckt - ein Dauerticket kostet 120 Euro. Es gibt einen Livestream im Internet, zwei Fernsehsender wollen über die katholisch-charismatischen Begegnungstage berichten. "Wir erreichen mit unseren Inhalten", fügt Hartl hinzu, "aufs Jahr verteilt rund eine halbe Million Leute."