Zur Fußball-EM: Aktion Mensch bietet barrierefreies Public Viewing an

Mats Hummels wird zur Hummel - in Gebärdensprache

Gemeinsam mitfiebern: Zur Fußball-EM bietet die Aktion Mensch nun einen speziellen Service an - damit auch Rollifahrer, Gehörlose oder Blinde mitfeiern können. Ein domradio.de-Interview.

Gebärdendolmetscherin (dpa)
Gebärdendolmetscherin / ( dpa )

domradio.de: Barrierefreies Public Viewing bieten Sie ja jetzt in Düsseldorf, Hamburg und München an. Was kann ich mir darunter vorstellen?

Sascha Decker (Pressesprecher Aktion Mensch): Beim Public Viewing kommen ganz viele Fans zusammen, teilweise Tausende. Auf dem Hamburger Heiligengeistfeld kommen über 50.000 zusammen. Und Menschen mit Behinderungen möchten natürlich auch mitgucken und mitfeiern. Das ist ja auch viel schöner als zu Hause auf dem Sofa – so mittendrin zu sein. Aber einige von ihnen brauchen besondere Dinge, um einfach richtig mitfeiern zu können. Das haben wir uns einfach angeguckt und ein paar mehr Serviceleistungen dazu gebracht, so dass alle mitmachen können.

domradio.de: Und was sind das so für Angebote?

Decker: Das fängt damit an, dass die Rollifahrer ganz gut auf einem Podest klarkommen. Damit sie einen besseren Blick auf die Bühne haben. Es geht weiter mit Gebärdensprachdolmetschern für gehörlose Menschen. Und – was vielleicht nicht gar nicht so bekannt ist – es gibt Blindenreporter, die den Fernsehkommentar noch ergänzen, um all das, was der Reporter im Fernsehen nicht sagt. Die also genau beschreiben, was auf dem Spielfeld passiert, so dass eben blinde Menschen jederzeit auf Ballhöhe sind.

domradio.de: Und bei Zuschauern, die nicht so gut hören können – gibt es da für jeden Spieler eine eigene Gebärde?

Decker: Genau. In der deutschen Gebärdensprache gibt es tatsächlich für die Spieler der deutschen Nationalmannschaft eigene Gebärden. Das leitet sich zum Teil ab aus den Eigenarten der Spieler oder aus dem Namen. Also wenn zum Beispiel Mats Hummels spielt, bietet sich an eine Hummel nachzumachen. Oder Thomas Müller ist dafür bekannt, dass er viele Witze auf dem Spielfeld macht. Also nimmt man diese Flapsigkeit und Lebensfreude und überträgt diese in eine Gebärde. So kommen die Namen zustande.

domradio.de: Kübra Sekin, Sie waren auch letzten Sonntag beim ersten Spiel der deutschen Mannschaft beim Public Viewing in Düsseldorf dabei. Sie haben Glasknochen und sitzen im Rollstuhl. Wie war das für Sie?

Kübra Sekin (JAM! Moderatorin): Für mich war diesmal eine Besonderheit, dass ich ziemlich weit vorne stand und eine gute Sicht hatte – und dass es eine barrierearme Toilette gab. Das sind die beiden Dinge, die iich beim Public Viewing immer im Auge haben muss. Ich muss mich immer fragen: Wo ist die nächste Toilette, durch wieviel Menschenmassen muss ich mich durchschlängeln? Der Platz war jetzt nicht so überfüllt, dass ich unbedingt auf die Rollstuhlfahrer-Plätze musste. Man konnte sich ohne Probleme dort hinstellen.

domradio.de: Was waren denn  bisher so die Probleme ? Sind Sie zum Public Vieweing gegangen oder haben Sie direkt gesagt: Nein, das ist mir zu umständlich?

Sekin: Ich persönlich war ein oder zweimal bei großen Public Viewings dabei. Da habe ich vorher geguckt: Wo ist die nächste Toilette? Wie weit kann ich mich reinstellen? Wie schnell komme ich aus dieser Menschenmasse wieder raus? Wenn sich das gut organisieren lassen hat, dann habe ich auch gerne mitgemacht.

domradio.de: Herr Decker, da fragt man sich natürlich auch, weshalb es diesen Service erst dieses Jahr gibt?

Decker: Die Aktion Mensch überlegt in diesem Jahr besonders, wie man Hürden und Barrieren in der Gesellschaft noch weiter abbauen. Viele denken zunächst immer an diese Rollstuhlrampe oder an eine angemessene Türbreite. Das ist mit Sicherheit auch richtig. Aber wir wollten in diesem Jahr die Gelegenheit nutzen, anlässlich der EM, zu sagen: Es gibt noch mehr, was Menschen mit Behinderung möglicherweise von so einem gemeinschaftlichen Fest abhält. Dann haben wir uns gesagt: Public Viewing ist ein toller Ort, um das Thema Blindenreportage und das Thema Gebärdensprachdolmetscher zusätzlich zu demonstrieren.

Die Blindenreporter kommen eigentlich aus den Fußballbundesliga-Stadien. Es gibt nahezu in allen Stadien der ersten und zweiten Fußballbundesliga diese Blindenreporter. Es gibt einen Reporterkoffer, das sind zwei Sender drin für die Reporter und zwanzig Empfängerteile. Den konnten wir nehmen. Wir wollen damit einen Impuls setzen und wollen, dass Veranstalter von Public Viewing überlegen: Vielleicht spreche ich mit so einem Service noch viel mehr Leute an. Möglicherweise kann ich noch mehr Tickets verkaufen, wenn ich meine Veranstaltung einfach barrierefrei mache. Und wir hoffen natürlich, dass wir hier etwas vormachen, was auch Nachahmer findet.

domradio.de: Haben denn auch viele Menschen mit Behinderung dieses Angebot in Anspruch genommen?

Decker: Viele leider nicht, aber es waren einige da. Das Wetter macht uns leider einen Strich durch die Rechnung. Wir hatten tatsächlich bei allen drei Public Viewings tatsächlich weniger Gäste als erwartet. Und ich denke, solche Angebote brauchen immer etwas Zeit, um bekannt zu werden. Wir haben in diesem Jahr gesagt, dass wir das bei den ersten drei Vorrundenspielen der Deutschen mal ausprobieren. Sollte die deutsche Mannschaft ins Finale kommen, würden wir auch dann nochmal diesen besonderen Service anbieten.

 

Das Gespräch führte Theresa Meier.


Quelle:
DR