Eine Steilvorlage für den stets streitbaren Heiner Geißler. Dieser Vorgang werfe auch "ein Licht auf die zunehmende Bedeutungslosigkeit des politischen Katholizismus in Deutschland", wetterte der ehemalige CDU-Generalsekretär.
Für Geißler, der vor seiner politischen Karriere mit dem Eintritt in den Jesuitenorden liebäugelte, liegt der Fall klar. Dass mit Gauck, Katrin Göring-Eckardt, Margot Käßmann und Wolfgang Huber gleich vier namhafte Vertreter der evangelischen Kirche für die Nachfolge des zurückgetretenen Katholiken Christian Wulff im höchsten Staatsamt genannt wurden, sei kein Personalproblem der Parteien, so Geißler. "Es ist ein Problem der Kirche und zwar des Vatikan, der Kurie, die sich vertikal in die Höhe spiritualisiert und die politische Dimension des Evangeliums vollkommen aus dem Auge verliert."
Ganz so einfach liegen die Dinge dann doch nicht, finden Beobachter wie der Bonner Politikwissenschaftler und Merkel-Biograph Gerd Langguth. Eigentlich spiele die Frage der Konfession bei der Neubesetzung des Bundespräsidentenamtes keine große Rolle. In der Geschichte der Bundesrepublik sei das Amt eher zufällig den Protestanten vorbehalten gewesen, viele Kanzler waren dafür katholisch. Ein Blick auf die Statistik zeigt: Außer Heinrich Lübke (1959-1969) und eben Christian Wulff finden sich nur evangelische Bundespräsidenten. Die CDU-Kanzler Konrad Adenauer, Kurt Georg Kiesinger und Helmut Kohl, die es zusammen auf immerhin rund 33 Regierungsjahre bringen, bekannten sich hingegen zum katholischen Glauben.
Dass demnächst gleich zwei ostdeutsche Protestanten an der Spitze des Staates stehen könnten, interpretiert Langguth stattdessen als Konsequenz aus der deutschen Einheit. Die evangelischen Pastorenhaushalte galten in der DDR als letzte "Bastionen der Bürgerlichkeit". Aus diesem Umfeld rekrutierte sich im Osten nach der Wende das politische Personal, das nunmehr an den Schaltstellten der Macht angelangt ist. "Es gab ja sonst niemanden mehr", fasst der Politologe zusammen: "Die meisten anderen Eliten waren zu tief in das DDR-Regime verstrickt."
Strömung hat an Einfluss verloren
An der Wahl des Bundespräsidenten lässt sich also wenig festmachen, was die Rolle des politischen Katholizismus anbelangt. Trotzdem, so räumt auch Langguth ein, hat diese vormals so bedeutsame Strömung an Einfluss verloren. Die Gründe dafür sieht der Wissenschaftler einerseits in einem Wandel der Parteienlandschaft - und andererseits in Richtungskämpfen innerhalb der katholischen Kirche. So habe sich die CDU als traditionelle Heimat des politischen Katholizismus zunehmend säkularisiert. Zugleich sei die Zahl der Protestanten im Führungszirkel stark angestiegen: Etwa in Gestalt von CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe oder Unions-Fraktionschef Volker Kauder.
Und die katholische Kirche? Sei uneins, welche Rolle das "C" in der Politik spielen soll, so Langguth. Der CSU-Politiker Alois Glück, Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), bringt einen zusätzlichen Aspekt ins Spiel. Demokratie, so sagt er, beruhe im Wesentlichen auf die Fähigkeit zum Kompromiss. "Das wird von Teilen des kirchlichen Bereichs nicht verstanden." Wer aber christliche Werte in das öffentliche Leben einbringen wolle, müsse diese Fähigkeit mit einbringen. "Sonst landen wir in einem Gottesstaat." Dass es soweit noch lange nicht ist, belegt dann doch wieder ein Blick auf die Präsidentendebatte: Zu den Kandidaten für die Nachfolge Wulffs gehörten mit Bundestagspräsident Norbert Lammert und dem früheren Bundesumweltminister Klaus Töpfer auch zwei prominente Katholiken.
Zur Rolle der Kirchen bei der Bundespräsidenten-Debatte
Wo sind die Katholiken?
Die Frage steht im Raum - nicht erst seit der jüngsten Talkshow von Günther Jauch am Sonntag im Ersten. Pastorentochter Angela Merkel, aufgewachsen im brandenburgischen Templin, als Bundeskanzlerin und jetzt womöglich auch noch der evangelische Theologe Joachim Gauck aus Rostock als Bundespräsident. "Ist das nicht zuviel protestantischer Osten?", wollte der Moderator mit Unschuldsmiene von seinen Gästen wissen.
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