Zusätzliche Urlaubsplanung dank christlicher Feiertage

Sonnenbaden statt Friedhofsbesuch

Seit der Wiedervereinigung ist der Reformationstag im Nordosten Deutschlands gesetzlicher Feiertag. Zudem ist er in diesem Jahr auch noch der letzte Brückentag. Da fällt für viele das Totengedenken wegen Kurzurlaubs aus.

Autor/in:
Beatrice Tomasetti
Ein Wochenende im Strandkorb ist für zunehmend mehr Menschen attraktiver, als an Feiertagen daheim zu bleiben / © Beatrice Tomasetti (DR)
Ein Wochenende im Strandkorb ist für zunehmend mehr Menschen attraktiver, als an Feiertagen daheim zu bleiben / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Manche sind schneller als die Feuerwehr. Sobald der Kalender mit den Feiertagen veröffentlicht ist, reichen sie in der Chefetage ihre Jahresplanung mit allen Urlaubswünschen ein – auch weil der Kollege ja noch flotter dran sein könnte und einem womöglich den begehrten Brückentag vor der Nase wegschnappt. Der Betrieb muss schließlich weiterlaufen – da haben manche das Nachsehen und müssen die Stellung halten. Also sollte man zu den Cleveren zählen, die nicht zimperlich sind, wenn’s um die eigene Entspannung geht, sondern die Ferienpläne längst wasserdicht haben, noch bevor andere in die Puschen kommen.

Ob ein verlängertes Wochenende in Paris, London oder Rom, eine Radtour durch die Toskana oder gar ein Badeaufenthalt bei gemäßigten Spätsommertemperaturen auf Mallorca mitten im ungemütlichen Herbst – seit die Airlines und Reiseanbieter ihre Kontingente "nach Corona" wieder deutlich hochgefahren haben, sind Autobahnen, Bahnhöfe und Flughäfen zu Spitzenzeiten voller denn je. Mit ein, zwei Tagen mehr lohne sich ja auch ein Kurzurlaub, versprechen die Werbeplakate. Man hat schließlich etwas nachzuholen, und da ist das eigene Bedürfnis nach Abwechslung ein hohes Gut. Mal eben zum Strandspaziergang an die Nordsee oder zum Segelturn ans Mittelmeer, zum Wandern durch Norwegen oder zur Opernpremiere nach Wien – überall und rund ums Jahr warten verlockende Angebote, die dazu animieren, einen Tapetenwechsel "all inclusive" zu buchen. Ganz nach dem Motto: Man gönnt sich ja sonst nichts – in diesen von Krisen gebeutelten Zeiten.

Reformationstag heißt in diesem Jahr "Brückentag"

Allerseelen

In der abendländischen Kirche wird Allerheiligen seit dem neunten Jahrhundert am 1. November gefeiert. Als Initiator des Festes gilt der mittelalterliche Theologe Alkuin. Der am 2. November begangene Allerseelentag etablierte sich, vom französischen Benediktinerkloster Cluny ausgehend, rund 200 Jahre danach.

Allerseelen: Der Verstorbenen gedenken (KNA)
Allerseelen: Der Verstorbenen gedenken / ( KNA )

Was kann man auch schon groß unternehmen, wenn die Geschäfte dicht sind und die Wetteraussichten nicht gerade prickelnd? Vielleicht die Hecke winterfest schneiden oder auf der Parkparzelle des Vorgartens die Familienkutsche auf Hochglanz polieren, vielleicht den Keller aufräumen oder die Schwiegermutter zum Kaffee einladen. Schöne Aussichten! Dann doch lieber weg sein. Den kirchlichen Feiertagen sei Dank!

Brückentag – das klingt inzwischen wie ein Zauberwort und suggeriert Vergnügen pur. In diesem Jahr also tauscht auch der Reformationstag seinen Namen gegen "Brückentag". Aber eine Brücke schlagen wohin, zu wem? Wer weiß denn überhaupt noch, was da eigentlich gefeiert wird? Was mal Ziel und Zweck dieses Gedenktags war, der inzwischen in den Bundesländern Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen gesetzlicher Feiertag ist? Martin Luther – ach ja, da war doch was. Aber für die meisten ist Religion eh weit weg und besagter Montag nur ein zusätzlicher Ferientag. Dann ihn doch auch sinnvoll nutzen: mit Sonnenbaden und maximalem Relaxen oder – für Aktiv-Urlauber – mit abenteuerlichen Gipfelerlebnissen, weit weg von der Heimat und dem deutschen November-Grau.

Feiertage dienen der "Arbeitsruhe und seelischen Erhebung"

Daher für alle Brückentag-Liebhaber: Es gibt gute Nachrichten. Im kommenden Jahr fallen nur drei Feiertage auf ein Wochenende – Neujahr, Ostern und Pfingsten – was noch einmal zusätzlichen Spielraum bei der Urlaubsplanung bedeutet. Das heißt, mit insgesamt 15 einzelnen oder paarweise zusammenhängenden Brückentagen meint es das Jahr 2023 wirklich gut mit uns und ist ungemein arbeitnehmerfreundlich – wie selten. Wer geschickt plant, kann aus 25 Urlaubstagen sage und schreibe 61 freie Tage rausholen. Schlaue Köpfe haben das bereits ausgerechnet. Also mit ausreichend kreativer Energie kann die Ferienzeit mehr als verdoppelt werden. Alles auf Onlineportalen nachzulesen. Tipps gibt’s genug. Nur los! Das noch unschuldige Urlaubsjahr will mit vielen Kurztrips verplant werden.

Ursprünglich waren die meisten Feiertage ja einmal dazu gedacht, Christen ihre Glaubenspraxis zu ermöglichen, sprich, ihnen Zeit zum Besuch ihrer Gottesdienste einzuräumen oder dafür, sich auf den spirituellen Kern ihrer Sehnsucht zu besinnen. Sogar im Grundgesetz ist das verankert. Mag ja sein, dass Feiertage wie Allerheiligen einmal der "Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung", so Artikel 140, dienten. Aber hallo, geht’s noch? Wie old school-mäßig ist das denn? Inzwischen haben doch immer weniger Kirchensteuerzahler das Bedürfnis, sich "seelisch zu erheben", zu Pfingsten vom heiligen Geist erleuchtet zu werden oder sich an Fronleichnam einer Prozession durchs Dorf anzuschließen. Geschweige denn Christi Himmelfahrt auf die Gute Laune-Planwagenfahrt mit Fässchen und Kurzen in der Kühlbox zu verzichten. Und Allerheiligen? Nichts als ein ungemütlich-trister Friedhofstag.

Christliche Feiertage nur noch für Christen?

So sieht liebevolles Gedenken an Verstorbene aus / © Beatrice Tomasetti (DR)
So sieht liebevolles Gedenken an Verstorbene aus / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Da ein Großteil der Gesellschaft inzwischen nicht-christlich und atheistisch ist, muss man diese Glaubensleere und fehlendes Wissen zu Bedeutung und Zweck des einzelnen Feiertages auch gar nicht weiter bejammern. Bleibt die Frage: Was macht das Festhalten an althergebrachten Ritualen einer schwindenden Peergroup da noch für einen Sinn? Dass kirchliche Feste jedenfalls früher mal dem Jahr einen festen Rhythmus gaben, es gliederten, Heilige wie Peter und Paul, Johannes, Jakobus oder Barbara mit ihren Geschichten im Bewusstsein der Bevölkerung verankert waren, mutet inzwischen wie aus der Zeit gefallen an.

Vorschlag zur Güte: mit der Zeit gehen und angesichts der zunehmenden Säkularisierung der Gesellschaft christliche Feiertage abschaffen – bis auf Weihnachten und Ostern. Denn hierzu gibt es noch am ehesten rudimentäres Bodensatz-Wissen. Immerhin ein winziger Hoffnungsschimmer. Außerdem kommen dann auch von den Kirchensteuerzahlern schon mal die in die Gottesdienste, die man sonst nie sieht. Abgesehen davon fördert das Marketing dieser Feiertage bekanntlich das Bruttosozialprodukt.

Ablasshandel mit Brückentagen Riegel vorschieben

An Allerheiligen werden traditionell die Gräber gesegnet / © Beatrice Tomasetti (DR)
An Allerheiligen werden traditionell die Gräber gesegnet / © Beatrice Tomasetti ( DR )

Zweitens: christliche Feiertage umbenennen. Dann würde Himmelfahrt zum Beispiel endlich auch offiziell so heißen, wie es begangen wird, nämlich als Vatertag. Und man könnte diesen elenden Etikettenschwindel zugunsten von Wahrhaftigkeit endlich fahren lassen. Dritte Option: Christliche Feiertage gibt es nur noch für Christen. Wer noch zahlendes Mitglied ist, wird mit arbeitsfrei belohnt. Charmanter Nebeneffekt: Die Konfessionen hätten mal wieder einen echten Trumpf in der Hand, könnten ihre Schäfchen mit Lockangeboten ködern und so dem Mitgliederschwund entgegenarbeiten. Wenn das Heilsversprechen fürs Jenseits und die Sakramente allein nicht mehr so richtig ziehen.

Bestimmt jedenfalls wäre das ganz in Luthers Sinn: die Feiertage wieder vom Kopf auf die Füße zu stellen und dem Ablasshandel mit den Brückentagen einen Riegel vorzuschieben. Freilich gäbe es dann immer noch genügend Christen, die die Feiertags-Gottesdienste schwänzten, aber sie würden immerhin ihren Beitrag leisten, damit die beiden großen Kirchen überhaupt noch Sonn- und Feiertagsangebote machen können und ihre Räume nicht nur als pseudosakrale Meerzweckhallen zur Verschönerung des Stadtbildes dienen.

Wer aber Angst hat vor diesem schleichenden Bedeutungsverlust, muss nicht tatenlos zusehen: Er kann – je nach dem – die protestantische oder katholische Seele in sich wiederbeleben und entweder dem großen Reformator oder den vielen Heiligen am Tag danach die Ehre erweisen. Kirchen und Friedhöfe werden jedenfalls geöffnet sein: am Brücken- und am Feiertag.

Quelle:
DR