Behindertenpolitische Sprecherin der Grünen kritisiert neuen Bluttest "Unity"

"Zustand der Panik"

An diesem Donnerstag kommt der Bluttest "Unity" auf den Markt. Er will schon bei Ungeborenen diagnostizieren, ob Krankheiten wie Mukoviszidose vorliegen. Kritik zum neuen Bluttest kommt von der behindertenpolitischen Sprecherin der Grünen.

Symbolbild Bluttest / © Alex Traksel (shutterstock)

DOMRADIO.DE: Sie sprechen von einem Geschäft mit der Angst. Warum?

Corinna Rüffer (Mitglied des Bundestags, Behindertenpolitische Sprecherin Bündnis 90/Grüne): Früher hat man mal davon gesprochen, dass Frauen, die schwanger sind, in guter Hoffnung seien. Heute werden sie in einen Zustand der Panik versetzt. Es kommen immer mehr Tests auf den Markt. Werdenden Eltern wird suggeriert: Testet, damit ihr sicher sein könnt, dass das Kind am Ende gesund ist. Das führt natürlich nicht dazu, dass Frauen entspannt diese neun Monate durchleben können, sondern dass sie sich unter Druck gesetzt fühlen, dafür zu sorgen, dass sie ein gesundes Kind auf die Welt bringen – ein nicht behindertes Kind.

DOMRADIO.DE: Nun sagt der Anbieter des Tests "Unity", das solle Eltern die Möglichkeit geben, sich auf ein Leben mit der Krankheit besser vorbereiten zu können.

Rüffer: Das wird natürlich bei allen Tests gesagt. Das war auch bei Tests für Trisomie 21 so. Wenn Kinder infolge der Testresultate abgetrieben werden, dann geschieht das aufgrund einer statistischen Wahrscheinlichkeit. Wir haben es bei den Testresultaten nämlich nicht mit Diagnosen zu tun, sondern mit statistischen Wahrscheinlichkeiten, die dann noch einmal abgesichert werden müssen. Den Leuten wird aber der Eindruck vermittelt, dass so ein Leben vermeidbar ist. Das ist das, was am Ende rauskommt. Natürlich kann man sagen, dass sich die Mutter und die Familien dann besser darauf vorbereiten können, mit einem Kind mit Behinderungen oder mit einer Krankheit zu leben. Aber was faktisch passiert, ist dann leider etwas anderes.

DOMRADIO.DE: Nun ist Mukoviszidose mindestens lebensverkürzend. Menschen bekommen immer mehr Probleme mit der Atmung. Eine Therapie, die wirklich richtig hilft, gibt es bislang nicht. Können Sie auch nachvollziehen, dass Eltern so etwas für die Kinder nicht wollen und dann auch im Vorfeld wissen wollen?

Rüffer: Natürlich kann ich das nachvollziehen, und das, was ich hier formuliere, ist nicht gegen die Eltern gerichtet und die Selbstbestimmung der Frau in der Schwangerschaft – ganz und gar nicht. Aber die Frage ist ja: Sollten wir als Gesellschaft und als medizinisches Leitungssystem suggerieren, das wir gewährleisten können, dass zukünftig nur noch gesunde Kinder, nicht behinderte Kinder auf die Welt kommen? Das ist eine Fiktion.

In den allermeisten Fällen ist es so, dass sich Behinderungen im Laufe des Lebens einstellen und nicht von Geburt an vorhanden sind. Wir suggerieren damit etwas, was wir nicht halten können als Gesellschaft, und wir verunsichern die Leute. In den meisten Fällen kommen die Kinder ganz gesund auf die Welt. Wenn sie das nicht tun, dann sind wir, glaube ich, stark genug oder sollten wir als Solidargemeinschaft stark genug sein, damit auch zurechtzukommen, die Leistungssysteme so auszubauen, dass Familien mit Kindern mit Behinderung gut klarkommen und glücklich sein können - wie alle anderen auch.

DOMRADIO.DE: Dieser "Unity-Test" kostet derzeit rund 700 Euro. Glauben Sie, dass auch irgendwann die Frage diskutiert werden wird, dass Krankenkassen diesen Test bezahlen?

Rüffer: Ich gehe ganz fest davon aus. Der Gemeinsame Bundesausschuss, der ja über die Frage entscheidet, ob die Krankenkassen solche Tests zukünftig finanzieren sollen, geht auch davon aus. Und "Unity" ist nicht der letzte Test, über den wir diskutieren, sondern potenziell werden jetzt nach und nach immer mehr Tests auf den Markt drängen.

Deswegen gibt es die Debatte, die der Deutsche Bundestag zurzeit führt, über die Frage: Welche Leistungen, welche Tests wollen wir überhaupt finanzieren und wie wollen wir als Gesellschaft mit dieser großen Fragestellung umgehen? Denn es ist ja so, dass solche Tests, Schwangerschaften, die Gesellschaft und den Blick auf Behinderungen insgesamt verändern werden.

Das Interview führte Martin Mölder.


Quelle:
DR