Amnesty International wirft der Europäischen Union eine menschenrechtswidrige Zusammenarbeit mit Libyen vor, besonders im Umgang mit Bootsflüchtlingen, die in das nordafrikanische Land zurückgebracht werden. In einem am Donnerstag veröffentlichten Bericht dokumentierte Amnesty rechtswidrige Tötungen, Verschwindenlassen, Folter und andere Misshandlungen, Vergewaltigungen, willkürliche Inhaftierung sowie Zwangsarbeit und Ausbeutung durch staatliche und nichtstaatliche Akteure.
"Gerade im Hinblick auf die Vorschläge des EU-Migrationspakts fordern wir die Europäische Union erneut auf, jede Kooperation mit Libyen von der Einhaltung von Menschenrechten abhängig zu machen. Niemand darf von der libyschen Küstenwache nach Libyen zurückgebracht werden", erklärte Franziska Vilmar, Asyl-Expertin bei Amnesty Deutschland. "Die in dem Land grassierende Straffreiheit führt dazu, dass niemand zur Verantwortung gezogen wird, der die Rechte geflüchteter Menschen oder gar die Menschen selbst mit Füßen tritt."
EU kooperiert mit libyscher Regierung
EU-Staaten kooperieren in der Flüchtlingspolitik seit 2016 mit libyschen Stellen. Italien stellt Schnellboote bereit und bietet Trainings für die libysche Küstenwache. Schätzungen zufolge hat die von der EU unterstützte libysche Küstenwache seit 2016 etwa 60.000 Frauen, Männer und Kinder auf See abgefangen und nach Libyen zurückgebracht, 8.435 davon allein in diesem Jahr (Stand: 14.
September). Amnesty fordert stattdessen, dass sich die EU für eine staatliche Seenotrettung und für sichere, legale Zugangswege nach Europa einsetzt. "Die Schikanierung und Kriminalisierung privater Seenotretter und Seenotretterinnen muss endlich ein Ende haben", sagte Vilmar.
In dem Bericht "Between life and death: Refugees and migrants trapped in Libya's cycle of abuse" dokumentiert Amnesty, was mit Menschen passiert, wenn sie von der libyschen Küstenwache auf dem Mittelmeer aufgegriffen werden. Während die eine Hälfte der abgefangenen Menschen zurück in offizielle Haftlager gebracht werde, verliere sich von der anderen Hälfte die Spur: Diese Menschen würden in von Milizen betriebene inoffizielle Haftlager verbracht, zu denen keine internationale Organisation Zugang habe, erklärte Amnesty. Ein illegales Lager befinde sich in der ehemaligen Tabakfabrik in Tripolis.
UNHCR bietet keinen Ausweg
Das Evakuierungsprogramm des UNHCR bietet laut Amnesty keine ausreichenden sicheren und legalen Ausreisemöglichkeiten aus Libyen. Seit 2017 hätten davon lediglich 5.709 schutzbedürftige Flüchtlinge profitiert. Die Covid-19-Restriktionen hätten das Programm gänzlich zum Erliegen gebracht. Verzweifelten Flüchtlingen bleibe deshalb nichts anderes übrig, als Libyen unter Einsatz ihres Lebens über das Mittelmeer zu verlassen.
Libyen hat Amnesty zufolge zudem allein 2020 mehr als 5.000 geflüchtete Menschen völkerrechtswidrig nach Ägypten, in den Sudan und in den Tschad abgeschoben. Als Gründe hätten die libyschen Behörden "Kriminalität" und die "Übertragung ansteckender Krankheiten" genannt.