Es kübelt Wasser vom grauen Himmel. Mit Regenmantel und Schwimmschuhen stapfe ich im grauen Meer. Als gerade auch noch meine Stimmung ergrauen will sehe ich graue Schatten und mein Herz schlägt schneller.
Mein letzter Morgen auf „unserer“ Insel. In 22 Jahren habe ich jetzt sechzig Wochen hier verbracht. Habe an 420 Morgenden in den Wellen der Irischen See den Tag begrüßt. Habe über Sonnenaufgänge und goldenes Wasser gestaunt oder bin im kalten Wind und kaltem Wasser blitzlebendig geworden.
Seit 1995 ist diese winzig kleine Insel vor der irischen Westküste unser Sommerziel. Nur ein altes Fischerhaus steht hier. Ansonsten gibt es nur Wind und Wellen. Aber kein Strom und kein Trinkwasser.
All die Jahre war die Insel unsere Zuflucht. Ein kleines Paradies. Und in jedem Fall ein Segen.
Aber all die Jahre haben die Winterstürme an Insel und Haus gezerrt. Haben Löcher ins Dach gerissen und so Regen und Sand Einfallstore ins Haus gebahnt.
Eigentlich wird das Haus auch gar nicht mehr vermietet. Der Fischer, der hier aufgewachsen ist, ist alt und krank und kann sich nicht mehr kümmern. Und dann kam auch noch Corona.
Niemand konnte anreisen, um einen Traumurlaub zu erleben.
Denn natürlich waren unsere Urlaube genau das: Traumurlaube. Unter weitem Himmel, am weiten Horizont. Mit Kormoranen, Strandläufern und Möwen. Mit Kindern, die von Dünen sprangen, eifrig noch das kleinste Stück Treibholz aus Felsspalten sammelten und abends ihr Stockbrot ins Feuer hielten.
Mit langen Badetagen am Strand, Ausflügen auf nur bei Ebbe zugänglichen, wilden Klippen und Höhlen. Mit Vorlesestunden im samtweichen Gras und mit tiefen Gesprächen.
Diese Zeiten sind jetzt vorbei. Das hier ist unser allerletzter Inseltag. Einmal, ein letztes Mal, noch hat uns ein Schäfer und Nachbar des Inselbesitzers übergesetzt.
So will ich am letzten, passenderweise grauen, Morgen, endgültig Abschied vom Meer nehmen. Als just dann im Wasser graue Schatten auftauchen, ist mir klar: Meine Freunde, die Seehunde, sind zurück. Sicher fünf Jahre habe ich sie nicht gesehen. Aus schwarzen, großen Augen schauen sie neugierig.
Lange schaue ich zurück, denke gerührt, was für ein Abschiedsgeschenk. Als ich mich endlich losreiße, hat der Wind auch hinter mir den Himmel aufgeklart.
Ob Sie es glauben oder nicht, über dem Haus steht ein leuchtender, vollständiger Regenbogen. Noch ein Geschenk. Noch ein Segen, der mich wie über eine Brücke in mein Leben ohne Insel, aber voller wunderbarer Insel-Erinnerungen bringen wird.