WunderBar

WunderBar - Abschied zwei: Der Tisch

Plötzlich sitzen alle Kinder im Ruderboot, bzw. sind schon auf dem Fischkutter. Noch einmal vom Strand aus winken. Danach ist es still. Die Stille tost in meinen Ohren.

In unsere Inselferien ist dieses Jahr der Tag unserer Silberhochzeit gefallen. Nächstes Jahr wird der Jüngste mit seiner Ausbildung fertig. Die Älteste geht dann ins Ausland.

Spätestens nächsten Sommer also wird diese laute Stille auch bei uns zu Hause tosen.

Seit Jahren begleitet mich ein Satz von Dirk Brall. In seinem Roman „Jakobs Weg“ besucht der Held seine Familie. Und realisiert beim Abschied: Die Familie, die wir waren, gibt es nicht mehr.

Auch bei uns wird es die Familie, die wir waren, bald nicht mehr geben. Unsere Zeit in der Familien-Sanduhr ist schon fast ganz in die untere Hälfte geronnen.

Allerdings steh ich auf der anderen Seite als der Held von Dirk Brall. Ich stehe in der Haustüre, winke den Kindern und ihrer Zukunft hinterher.

Deswegen wünsche ich mir und nehme die Silberhochzeit zum Anlass, dass wir noch mal alle zusammen sind.

Und zwar auf unserer Ferieninsel, wo wir, unter weitem Himmel und am weiten Horizont, zu der Familie wurden, die wir so gerade eben noch sind.

Dort, wo wir Kormoranen, Strandläufern und Möwen zuschauten. Über Seehunde lachten. Uns von Delfinen anrühren ließen. Wo in einem Jahr sogar ein Walhai auftauchte.

Dort, wo wir lange Badetage am Strand, Ausflüge auf nur bei Ebbe zugänglichen, wilden Klippen und Höhlen und Vorlesestunden im samtweichen Gras erlebten. Wo wir tiefe Gespräche führten, die so nur auf einer Insel stattfinden konnten.

Ich stelle mir vor, dass wir genau hier symbolisch unser Familienbuch zusammen zu klappen. Bevor dann jede und jeder sein eigenes Lebensbuch endgültig in die Hand nehmen wird.

Und die Kinder sind nett. Sie erfüllen meinen Wunsch, reisen uns zusammen nach, kommen am Hochzeitstag auf die Insel.

Die Kinder bringen gute Stimmung mit. Schnorcheln einträchtig im kalten Atlantik, waschen ihre Haare im Eimer mit kaltem Wasser, streunen über die Insel.

Bei einem Ausflug erspähen sie eine große Palette in den Felsen. Gemeinsam schleppen sie diese durch Disteln und Brennnesseln, bauen einen großen, vor allem hohen Tisch daraus. So hoch, dass wir alle mit den Köpfen gerade über die Platte lugen und unsere Füße über den Boden baumeln.

Als die Kinder abgereist sind, sitze ich an diesem Tisch. Betrachte die große, einladende Tafel.

Ein Bild. Ein Symbol.

Für Möglichkeiten, wie wir uns in der Zukunft vielleicht manchmal versammeln. Und jede und jeder aus seinem Lebensbuch eine Seite vorliest.

Das wäre doch wunderbar.