Die Kiste ist sehr groß und sehr blau. Seit 25 Jahren steht sie in meinem Schrank. Wartet nur darauf, dass ich endlich mal Zeit habe.
Zeit, die ich nie hatte. Präziser, mir nie nahm.
Immer war etwas anderes wichtiger. Erst kamen das Baby und all die vielen Aufregungen, die so ein kleines Bündel Wunder mit sich bringt.
Dann kamen mehr Kinder.
Als die größer wurden, gab es wieder mehr Zeit. Also theoretisch.
Praktisch aber hat sich die frei werdende Zeit beinah wie von selbst gefüllt. Die Schulen der Kinder brauchten Eltern, die mit anpackten. Junge Männer aus der ganzen Welt schliefen plötzlich in unseren Turnhallen und brauchten Unterstützung. Und interessante berufliche Projekte lockten auch.
Die ganze Zeit blieb die Kiste zu, wartete geduldig vor sich hin.
Im Alltag musste ich die Kiste manchmal von rechts nach links rücken. Ganz selten habe ich bei diesen Gelegenheiten mal in die Kiste gelugt. Und direkt wieder zugemacht.
Vielleicht weil ich genau wusste: wenn ich wirklich in die Kiste schaue, habe ich vor allem eines: Arbeit. Viel Arbeit.
So ging ein ums andere Jahr ins Land.
Bis letzte Woche. Corona hat mich nochmal erwischt. Viele Tage bin ich infektiös.
Natürlich isoliere ich mich. Bleibe in der oberen Etage. Höre die anderen im Garten oder am Esstisch zusammensitzen.
Und weil ich mich ja irgendwie mit etwas beschäftigen muss, was man auch mit Kopfschmerzen machen kann, fällt mir plötzlich die Kiste ein.
Das Leben hat Humor. Da muss erst Corona kommen, damit ich endlich die Zeit für diese Kiste finde.
Und Zeit brauche ich. Stunden um Stunden sitze ich vor der Kiste, packe immer neue Dinge aus. Lächle, staune, erinnere mich. So viel Strahlen, so viel Zuneigung, soviel Mitfreude.
Schließlich bin ich fertig. Fertig mit einem von vorne bis hinten mit Erinnerungen voll geklebten Album.
Heute, an Pfingstmontag, feiern wir unsere Silberhochzeit.
Auf das Gesicht meines Mannes bin ich wirklich sehr gespannt. Was er wohl sagt, wenn er aus dem Geschenkpapier unser Hochzeitsalbum ausgewickelt hat?
Wie auch immer Sie heute den Pfingstgeist feiern: ich wünsche einen wunderschönen Tag.