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Leid und Leiden. Allüberall

Eigentlich möchte ich nur wissen, wie ihm geht. Dem befreundeten, schwer gestürztem Geiger, der manchmal mit mir Konzertlesungen gestaltet. Plötzlich stürzt das Leid der Welt auf mich ein.

Im Herbst war der Geiger auf dem Gehweg gestürzt. Mit der Schulter voran.

Die Ärzte malten die Zukunft zappenduster, mit der Geige sei es vorbei. Der Freund erlaubte sich diesen Gedanken nicht.

Machte sich an den schmerzhaften und anstrengenden Weg zurück an die Geige.

Als ich vorsichtig nachfrage, winkt er ab: Ja, es sei noch schmerzhaft, aber jetzt erst recht. Er spiele und spiele. Um Spenden zu sammeln für die Ukraine.

Natürlich kenne ich die Biografie eines Menschen, den ich auf der Bühne schon mehrmals anmoderiert habe. Natürlich wusste ich, dass er in der ehemaligen UDSSR geboren wurde.

Doch die ehemalige UDSSR war sehr groß und sehr weit. Und meine Ahnung von ihr sehr klein. Aber so wie der tapfere Geiger erzählt, kommt mir ein Verdacht.

Diskret googel ich neben dem Telefonat seinen Geburtsort. Tatsächlich, der liegt in der heutigen Ukraine.

Nach dem Gewinn eines nationalen Musikwettbewerbs, kamen erst das weltberühmte Konservatorium in Moskau und dann alle großen Bühnen der Welt.

Jetzt will er vor allem den Menschen in der Ukraine helfen. Und seinen Freund:innen in Russland. Diese haben sich von Putin distanziert und fürchten sich vor der angekündigten Säuberung.

Das Gespräch landet bei der Familiengeschichte.

Da ist der Großonkel. Auch er ein gefeierter Musiker auf den Bühnen der Welt. Als Sohn deutschsprachiger Juden schafft er es vor den Nazis in die Schweiz. Dort gilt er als illegaler Flüchtling, wird deshalb kaum medizinisch behandelt und stirbt an einer einfachen Krankheit.  

Da sind die Eltern. Als Kinder im Stalin Regime zu bourgeoisen Feinden gemacht und in die kasachische Steppe verschleppt.

Bei der Tante, die bei minus 40 Grad erfriert, kann ich nicht mehr.

„So viel Leid. In einer Familie“ rufe ich aus. Im Telefon bleibt es still. Dann sagt mein Gesprächspartner leise: Alle in der Bukowina, seiner Heimat in der Ukraine, hätten solche Geschichten zu erzählen.

Plötzlich bin ich ganz still. So viele Menschen. So viel unermessliches, schreckliches Leid.

Vielleicht ist Karfreitag der beste Tag, um an solches Leid zu erinnern. Allüberall möglich, gerade in der Ukraine stattfindet. Immer verursacht von Menschen, die sich einreden, andere Menschen wären keine Menschen. Nur Ungeziefer zum Ausrotten.

Mögen wir den Feiertag heute zur Erinnerung daran nutzen, dass wir Menschen sind.

Alle.