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Von Frieden und Feigheit

Wo man nur die Wahl hat zwischen Feigheit und Gewalt, würde ich zur Gewalt raten. Wissen Sie, wer das gesagt hat? Ich wusste es nicht.

Mahatma Ghandi hat diesen Satz gesagt. Zitiert hat ihn Abbé Pierre, der berühmte Gründer von Emmaus. Gehört habe ich ihn im Krieg.

Damals hatte ich ein Stipendium für Reportagen vom französischen Außenministerium. Tolle Sache. Vier Wochen lang durfte ich durch das Land reisen und allen Fragen nachgehen, die sich mir stellten.

Damals tobte der Krieg gerade im ehemaligen Jugoslawien, die UN hatte Blauhelme zur Friedensmission geschickt und Frankreich war Teil davon.

In den Wochen, als ich durch Frankreich reiste, starb der 53. französische Soldat. Sein Tod war eine kleine Notiz in den Zeitungen. Ich war schockiert.

1995 gab es in Deutschland noch keine Beteiligung der Bundeswehr an Auslandseinsätzen. Das lag am unermesslichen Leid, das Deutschland mit einem Angriffskrieg über die Welt gebracht hatte. Und an den Lehren, die die Deutschen aus der brutalen Zerstörung gezogen haben.

Diese Lehren hießen: nie wieder Krieg.

Das war das, was mir meine 68er-Lehrer:innen beigebracht hatten. Was ich natürlich richtig fand. Dass die Bundeswehr sich aus allem raushielt, fand ich genauso richtig.

Dass die Franzosen diese große, für mich unumstößliche Regel anders sahen, hat mich erschüttert.

Also wollte ich verstehen: Was ist da los? Warum unterscheiden sich die Meinungen zum Krieg in Deutschland und Frankreich so fundamental?

Dafür reiste ich durchs Land, rief den Vater eines toten Soldaten an, sprach mit einer Journalistin, die im Kriegsgebiet berichtete, mit einem Colonel, der Teil der UN Truppe war, mit dem großen Publizisten Alfred Grosser und dem einflussreichen Intellektuellen Alain Finkielkraut.

Tja. Bis auf den Vater des toten Soldaten waren alle für eine Beteiligung Frankreichs am Krieg. Die Begründung war immer dieselbe, der 2. Weltkrieg.

Aber anders als in Deutschland bezogen sich die Franzosen nicht auf dessen brutales Ende, sondern auf die Zeit vor dem Krieg, auf das Jahr 1938.

Damals haben Frankreich und Großbritannien mit Hitler einen Nichtangriffspakt geschlossen. Als Hitler dann 1939 Polen überfiel, waren sie an ihren Pakt gebunden, mussten dem Überfall zusehen. Tatenlos. Bis heute für die Franzosen eine monströse Schande der Feigheit. (Erstsendung 20.03.2022)

Ich begriff: Derselbe Krieg kann verschiedene Lehren, verschiedene Konsequenzen lehren.

 Ich begriff, dass es Zeiten gibt, in denen es keine richtigen Entscheidungen gibt. Nur falsche.