"Liebe Schwester und Brüder, liebe Wallfahrer*innen hier zum Hl. Kreuz in Stromberg,
diesen Schlusssatz des heutigen Evangeliums haben wir uns schon oft zurufen lassen. Er ist uns so vertraut wie die ganze Erzählung. Das Handeln des barmherzigen Samariters ist so bekannt, wie sprichwörtlich. Die Angabe, dass er aus Samaria kommt, hat sich bei uns zu einem stehenden Begriff verselbständigt. Der Samariterbund organisiert bis in unsere Zeiten Hilfe für Bedürftige. Der Samariter jedenfalls hat gleich all unsere Sympathien, mit ihm identifizieren wir. Machen wir doch, wie handeln genauso. Vielleicht nicht ganz so heldenhaft und nicht ganz so selbstlos. Aber immerhin. ….Schön wär´s.
Doch zuerst noch ein Blick auf die anderen Akteure. Was ist denn mit denen?
Ein Mann macht sich auf einen langen und anstrengenden Weg. Auf mehr als 20km muss er rund 1200 m absteigen. Hier ist es steinig, heiß und gefährlich. Warum er unterwegs ist, wird nicht gesagt. In Jerusalem ist der Tempel, ein guter Grund dorthin zu pilgern. Der Mann ist womöglich ein Wallfahrer auf dem Weg nach Hause in Jericho.
Aufbrechen, losgehen, sich auf den Weg machen. Auch Sie haben sich heute aufgemacht zur Wallfahrt hier in Stromberg. Ihr Weg war hoffentlich nicht ganz so strapaziös, jedenfalls sind sie schon mal gut angekommen.
Die Tradition des Wallfahrens ebenso wie die Abenteuer dieses biblischen Wanderers in der judäischen Wüste sind Sinnbilder für unser ganzes Leben. Wir sind unterwegs, es ist anstrengend und gefährlich. Wir erleben gemeine Verbrechen aber auch unerwartete großzügige Zeichen der Nächstenliebe.
Das Evangelium erzählt weiter, kurz, knapp, macht kein Wort zu viel, aber jedes einzelne sitzt.
Nach dem brutalen Überfall kommt ein Priester des Wegs. Er sieht das Opfer …. und geht vorbei. Bei uns würde man ihn Anklagen wegen „unterlassener Hilfeleistung“. Wie abgebrüht muss man sein, um einen Schwerstverletzten einfach so liegenzulassen. Jeder Mensch hätte angehalten und geholfen. Und erst Recht als Priester, er weiß, was in der Thora steht. Er kennt die Vorgaben zur Gottes- und Nächstenliebe. Schon allein deswegen hätte er nicht vorbeigehen dürfen. Er kommt vom Tempel und macht sich hier die Hände nicht schmutzig . Im Israel zur Zeit des Neuen Testaments ist „Priester zu sein“ nicht vergleichbar mit unseren katholisch klerikalen Vorstellungen. Aber er ist doch jemand, von dem man ganz besonders ethisch Handeln erwartet.
Anspruch und Wirklichkeit klaffen hier ganz besonders auseinander.
Diese Lektion lernen wir in der Kirche unserer Tage sehr schmerzhaft: Ämter, Weihe, geistliche Würden schützen nicht vor menschlichem Versagen. Als kirchliche Gemeinschaft müssen wir viel genauer hinschauen und Konsequenzen zu ziehen: Wer ist berufen? Was sind unsere Kriterien? Was ist mit denen, die am menschlichen Leid nicht vorübergehen? Wunderbare Seelsorger*innen sind, glaubhaft Zeuginnen des Evangeliums? Wir haben diese Menschen in unserer Kirche und verweigern ihnen „Priester“ zu sein. Weil sie Frauen sind, weil sie nicht zolibatär leben wollen. Je länger wir debattieren, desto mehr machen wir uns schuldig an jedem Opfer, das am Wegesrand liegen bleibt, wenn wir verhindern, dass wir genügend Priester haben, die helfen.
Doch zurück in die judäische Wüste.
Als zweites kommt ein Levit – im klerikalen Standesdenken eine kleinere Nummer. Er versagt ebenso.
Als drittes würde man jetzt einen „normalen“ Israeliten erwarten. Doch es kommt noch „schlimmer“, es kommt jemand aus Samaria. Mit denen liegen die „richtigen“ Israeliten im Streit. Sie gelten als Ungläubige, Götzendiener und Ausländer. Und genau so jemand aus Samaria spielt nun die entscheidende Rolle.
Er schaut hin, er lässt sich anrühren, er hilft und nimmt seine Verantwortung wahr. Dafür kann er nicht den Notruf antelefonieren, auf den Krankenwagen warten und dann alles der Polizei übergeben. Er ist dran. Er muss selber Handeln. Seine Pläne für den Tag wirft er über den Haufen, er macht sich selber seine Hände „schmutzig“ und zahlt noch drauf, damit der Herbergsvater die weitere Pflege übernimmt.
Es gibt noch mehr Akteure.
Derjenige, der die Frage stellt: Was muss ich tun? Und wer ist mein Nächster.
Und Jesus der antwortet: Wer ist dem Verletzten zum Nächsten geworden.
Not sehen und Handeln, Verantwortung übernehmen über den Tag hinaus.
Für alle die darum streiten, was wirklich Kirche ausmacht: Genau dies. Auf der Seite der Armen stehen, Anwältin der Marginalisierten zu sein. Ob im Synodalen Weg, bei der Welt-Synode in Rom oder sonst wo. Jede Reform muss auf die Frage antworten: Was tut Not?
Nur wenn wir hinsehen, und uns anrühren lassen, beginnt mit uns Veränderung. Wir werden dem Auftrag Jesu nur gerecht, wenn wir für diejenigen, die unter die Räuber gefallen sind zum Nächsten werde. Erst darin werden wir zur wahren Kirche Jesu Christi, wahrhaftige Botschafter*nnen seines Evangeliums.
Was tut Not? Der Samariter tut genau das Richtige, direkt und ohne zu zögern helfen.
Dabei kann es nicht bleiben. Wir haben Hilfe organisiert in großen Verbänden, Spendenaktionen, Krankenhäusern, Pflegestationen. Auch politischer Lobbyarbeit für bessere Sozialgesetze. Kirche ist breit aufgestellt. Mit allen Chancen und allen Gefahren. Wir haben Kirchenstrukturen, Hauptamtliche, einen Kirchenvorstand.
Wir brauchen Macht- und Gewaltenteilung damit nicht alles einsam klerikalistisch entschieden wird und vor allem Macht nicht weiterhin so einfach missbraucht werden kann. Damit wir nicht durch unser Versagen weiter Leute abschrecken und aus der Kirche treiben.
Wir müssen die vielen nötigen Veränderungen endlich angehen, die vielen unerledigten und quälende Fragen: Ob wir noch das Pflichtzölibat brauchen? Warum nicht endlich Frauen zu Priester*innen geweiht werden. Wie wir oekumenisches Miteinander in Zukunft gestalten. Wie wir in Zukunft Kirche sein wollen?
Für alle Antworten gilt nur ein Kriterium: Wem werden wir damit zum Nächsten?
Wer sich anrühren lässt, wer die anderen in ihrer Bedürftigkeit an sich heranlässt und handelt wird zum Nächsten und darf sich als Kirche auf Jesus Christus berufen.
Schau hin, wer an unserem Wegesrand liegt. Dann gehe und handle genauso.
Und an alle Wallfahrerinnen: Wenn Sie sich heute wieder aufmachen nach Hause, kommen Sie gut an. Fallen Sie nicht unter die Räuber."