Der oder die Präses übt in der Evangelischen Kirche von Westfalen das zentrale Leitungsamt aus. Die lateinische Amtsbezeichnung bedeutet "Vorsitzende/r". Wer das Spitzenamt innehat, vertritt die viertgrößte deutsche Landeskirche mit ihren rund zwei Millionen Mitgliedern nach außen und leitet die Landessynode, das oberste Beratungs- und Entscheidungsorgan.
Er oder sie steht zudem an der Spitze der Kirchenleitung und des Landeskirchenamts in Bielefeld. Auch für eine regelmäßige Versammlung der Superintendentinnen und Superintendenten der Kirchenkreise hat die oder der Präses laut der Kirchenordnung zu sorgen. Hinzu kommen Aufgaben wie Verkündigung, Seelsorge, Beratung, Ordination und Visitationen.
Oberstes Hirtenamt
Die Bezeichnung "Präses" für das oberste Hirtenamt gibt es außer in Westfalen nur in der Evangelischen Kirche im Rheinland. In anderen Landeskirchen heißen die leitenden Geistlichen meist Bischof oder Kirchenpräsident, in Lippe lautet die Bezeichnung Landessuperintendent und in Bremen Schriftführer.
Anders als in Westfalen sind in anderen Landeskirchen die obersten Leitungsaufgaben in der Regel auf mehrere Ämter verteilt. Auch die westfälische Kirche strebt nun eine stärkere Aufgabenteilung an und will das Präses-Amt nach dem Beschluss einer Sondersynoden vom Samstag "einer kritischen Betrachtung" unterziehen.
Ursprünglich auf drei Personen aufgeteilt
Die Idee von der Ausbildung des Präses-Amts als einziges exponiertes Leitungsamt in Westfalen entstand nach Angaben des Kirchenhistorikers Jürgen Kampmann im Dezember 1933 bei einer außerordentlichen Provinzialsynode in Dortmund - auch vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Führerprinzips.
Zugleich sollte aber die presbyterial-synodale Grundordnung beibehalten werden. Bis dahin war die kirchenleitende Verantwortung fast hundert Jahre lang auf drei Personen an der Spitze verteilt: Die geistliche Leitung hatte der Generalsuperintendent inne, die Provinzialsynode wurde vom Präses geleitet und die Kirchenverwaltung vom Konsistorialpräsidenten.
Amtsverständnis gefestigt
Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde laut Kampmann jedoch nicht an die Tradition von vor 1933 angeknüpft, sondern der Begriff "Neubau" von 1933 aufgenommen: Der seit 1927 amtierende Präses Karl Koch übernahm neben dem Vorsitz der Synode auch das geistliche Hirtenamt und die Leitungsaufgabe in der kirchlichen Verwaltung. Die Ämter Generalsuperintendent und Konsistorialpräsident entfielen. Die neu gebildete Provinzialsynode - die spätere Landessynode - bestätigte 1946 dieses Konstrukt. Auch bei der 1953 beschlossenen Kirchenordnung der Evangelischen Kirche von Westfalen wurde das alleinige Spitzenamt mit seiner Macht- und Aufgabenfülle bestätigt, ihm wird in der Grundordnung ein eigener Abschnitt gewidmet.
Nach Koch, der mehr als zwei Jahrzehnte bis 1949 amtierte, standen nach dem Zweiten Weltkrieg sechs weitere Theologen und eine Theologin als Präses an der Spitze der westfälischen Landeskirche: Ernst Wilm (1949-1968), Hans Thimme (1969-1977), Heinrich Reiß (1977-1985), Hans-Martin Linnemann (1985-1996), Manfred Sorg (1996-2004), Alfred Buß (2004-2012) und Annette Kurschus (2012-2023).
Nach dem Rücktritt von Kurschus (61) als westfälische Präses am 20. November übernahm der 62-jährige theologische Vizepräsident Ulf Schlüter kommissarisch die Präses-Aufgaben. Der oder die neue Präses wird Ende November 2024 von der Landessynode gewählt. (epd/10.03.2024)