Der Vatikan und der Nahost-Konflikt: eine Chronologie

Aufs und Abs in einer schier endlosen Auseinandersetzung

Papst Benedikt XVI. an der Klagemauer am 12. Mai 2009 in Jerusalem / © AVI OHAYON GPO (KNA)
Papst Benedikt XVI. an der Klagemauer am 12. Mai 2009 in Jerusalem / © AVI OHAYON GPO ( KNA )

Im Nahen Osten herrscht wieder Krieg. Auch der Vatikan ist seit über 100 Jahren auf diesem heiklen diplomatischen Parkett unterwegs. Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt zentrale Wegmarken:

1904: Theodor Herzl versucht, den Vatikan für eine Heimstatt der Juden in Palästina zu gewinnen. Papst Pius X. entgegnet laut Herzls Notizen: "Wir können die Juden nicht abhalten, nach Jerusalem zu kommen; aber begünstigen können wir es niemals."

1917: Nach Beendigung der osmanischen Herrschaft sichert der britische Außenminister James Balfour den Juden Unterstützung bei der Errichtung einer Heimstatt in Palästina zu. Papst Benedikt XV. äußert wenige Jahre später die Befürchtung, dass nationale Interessen der Zionisten auf Kosten der Araber verwirklicht werden sollen. Das widerspräche dem "fundamentalen Prinzip der natürlichen Gerechtigkeit". Der Vatikan weist ein aus der Bibel ableitbares Recht auf einen Staat Israel zurück.

1933-1945: Während der Nazi-Herrschaft werden die Juden in Europa systematisch verfolgt; rund sechs Millionen werden ermordet.

1947: Der Teilungsbeschluss der UNO für Palästina sieht eine Internationalisierung Jerusalems vor. Der Vatikan fordert, Jerusalem unter Oberaufsicht der Vereinten Nationen zu stellen.

1948: Der Vatikan gründet eine Apostolische Delegatur für Jerusalem und Palästina als Zeichen für ein ungeteiltes Palästina. Pius XII. fordert in Reden und Enzykliken weiterhin Schutz und Unverletzlichkeit aller Heiligen Stätten in Palästina, am besten durch einen "internationalen Status" für Jerusalem.

Mai 1948: David Ben Gurion proklamiert den unabhängigen Staat Israel.

1949: Israels Präsident Chaim Weizmann garantiert "volle Sicherheit aller religiösen Institutionen" in Israel.

1958: Papst Johannes XXIII. müht sich um ein besseres Verhältnis zu den Juden. Eine jüdische Delegation begrüßt er mit den Worten "Ich bin Josef, euer Bruder". Er streicht das Wort von den "treulosen Juden" aus der Liturgie und beauftragt den deutschen Kardinal Augustin Bea, für das Konzil ein Papier über das Judentum vorzubereiten.

1962-1965: Das Zweite Vatikanische Konzil sanktioniert den Wandel im Verständnis des Judentums und betont das "gemeinsame Erbe" von Juden und Christen. Es beklagt "alle Hassausbrüche, Verfolgungen und Manifestationen des Antisemitismus".

1964: Als erster Papst der Geschichte besucht Paul VI. das "Heilige Land". Er wird mit staatlichen Ehren in Jordanien und Israel empfangen. Vom Staat Israel spricht der Vatikan offiziell nicht.

1967: Paul VI. fordert für Jerusalem einen international garantierten Sonderstatus. Im Sechstagekrieg hatte Israel den Ostteil der Stadt mit den Heiligen Stätten annektiert.

1973: Golda Meir wird als erstes israelisches Staatsoberhaupt im Vatikan empfangen.

1978: An der Amtseinführung von Papst Johannes Paul II. nimmt eine offizielle israelische Delegation teil.

1979: Johannes Paul II. feiert eine Messe im früheren Konzentrationslager Auschwitz und bezeichnet es als "Golgotha unserer Zeit".

1980: Die Knesset verabschiedet ein Grundgesetz, das "ganz Jerusalem" zur Hauptstadt Israels erklärt.

1982: Der Führer der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO), Jassir Arafat, wird im Vatikan empfangen.

1984: Johannes Paul II. spricht erstmals in einem offiziellen Papstdokument vom "Staat Israel".

1985: Israels Ministerpräsident Schimon Peres wird vom Papst empfangen. Auf der Tagesordnung steht die "Normalisierung der Beziehungen".

1986: Als erster Papst besucht Johannes Paul II. offiziell eine Synagoge. Er bezeichnet die Juden als "ältere Brüder im Glauben".

1992: Bildung einer Ständigen Arbeitsgruppe zur "Normalisierung der Beziehungen" zwischen dem Vatikan und Israel.

1993: Unterzeichnung eines "Grundlagenvertrags" als erste vertragliche Beziehung zwischen beiden Staaten. Ein kultureller und wissenschaftlicher Austausch beginnt; gemeinsame Anliegen werden beschworen. Allerdings bleiben einige Fragen zu Wirtschafts- und Steuerangelegenheiten ungeklärt. Diese Einigung steht bis heute aus und belastet das Verhältnis.

1994: Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel. Im Oktober folgen offizielle Beziehungen zwischen dem Vatikan und der PLO.

1998: Israel und der Vatikan unterzeichnen einen Vertrag zur juristischen Anerkennung der kirchlichen Einrichtungen und Institutionen im Heiligen Land.

2000: Vatikan und Palästinenser schließen einen Vertrag über die Anerkennung kirchlicher Personen und Einrichtungen der katholischen Kirche in den palästinensischen Gebieten. In der Präambel werden nochmals die Forderungen des Vatikan für "ein spezielles, international garantiertes Statut für Jerusalem"
aufgeführt.

Johannes Paul II. spricht eine historische Vergebungsbitte für die Verfehlungen der Christen in der Geschichte. Dabei werden auch "Sünden" benannt, die "nicht wenige ... gegen das Volk des Bundes und der Seligpreisungen begangen haben ...".

Die Heilig-Land-Reise des Papstes wird zum bisherigen Höhepunkt in den Beziehungen zwischen dem Vatikan und Israel. Die gesten- und ereignisreiche Visite enthält Besuche der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem, der jüdischen Klagemauer und der Al-Aksa-Moschee.

Oktober 2000: Bald nach der Reise ziehen im Zuge der Zweiten Intifada neue Wolken über den vatikanisch-israelischen Beziehungen auf. Der Papst kritisiert die neue Spirale der Gewalt - palästinensische Terrorattentate wie israelische Gegenschläge.

2003: Palästinenser besetzen die Geburtskirche in Bethlehem; Israels Armee belagert das Areal 39 Tage lang.

2008: Papst Benedikt XVI. fasst die Karfreitagsfürbitte für die Juden neu, was zu Verstimmung und Protesten von Vertretern des Judentums führt.

2009: Die Aufhebung der Exkommunikation für den Traditionalisten und Holocaust-Leugner Richard Williamson sorgt für weltweite Proteste. Der Papst muss Kommunikationspannen einräumen.

2009: Benedikt XVI. reist ins Heilige Land. Er versucht nicht, die großen Gesten seines Vorgängers zu wiederholen, sondern bemüht sich, die Präsenz der Christen dort zu stärken, Ökumene und Dialog mit Juden und Muslimen zu fördern.

2010: Vatikan und Palästinensische Behörde nehmen Gespräche über einen Grundlagenvertrag auf. Er soll unter anderem den Rechtsstatus der Kirche sowie steuerliche Fragen klären.

2012: Die Vertretung der PLO bei den Vereinten Nationen erhält Beobachterstatus als "Staat Palästina". Seither verwendet der Vatikan in offiziellen Dokumenten diese Bezeichnung.

2013: Ein orthodoxer Christ aus Jerusalem, zuvor Unterhändler der PLO, überreicht sein Akkreditierungsschreiben als erster "Repräsentant des Staates Palästina beim Heiligen Stuhl". Umgekehrt trägt der Papstbotschafter in Israel nun zugleich den Titel eines "Apostolischen Delegaten in Jerusalem und Palästina".

2014: Bei seiner Heilig-Land-Reise wirbt Papst Franziskus für Versöhnung im Nahost-Konflikt. Er setzt spektakuläre Friedensgesten, etwa ein außerplanmäßiges Gebet an der israelischen Sperrmauer sowie die symbolische Umarmung dreier Weltreligionen an der Jerusalemer Klagemauer. Wenige Wochen darauf folgt ein Friedensgebet mit Palästinenserpräsident Mahmud Abbas und Israels Staatspräsident Schimon Peres in den vatikanischen Gärten, zu dem Franziskus im Heiligen Land überraschend eingeladen hatte.

2015: Der Heilige Stuhl und Palästina unterzeichnen im Vatikan einen Grundlagenvertrag. Er regelt zentrale Fragen des Lebens und der Aktivitäten der Kirche im Staat Palästina. Zugleich propagiert er eine Friedenslösung durch Verhandlungen im Rahmen einer Zwei-Staaten-Regelung mit international garantierten Grenzen.
Palästina ist der erste arabische Staat mit einem solchen bilateralen Vertrag.

2017: Einweihung der palästinensischen Vertretung beim Heiligen Stuhl.

2020: Angesichts einer geplanten Annexion von Teilen des Westjordanlandes durch Israel teilt die "Nummer zwei" des Vatikan, Kardinalsstaatssekretär Pietro Parolin, den Botschaftern Israels und der USA die "Besorgnis des Heiligen Stuhls" über die Lage mit.

September 2023: Der Vatikan fordert einen Sonderstatus für Jerusalem. So müssten etwa gleiche Rechte für Juden, Muslime und Christen, Religionsfreiheit und der Zugang zu religiösen Stätten in der Stadt international garantiert sein, sagt der vatikanische Außenbeauftragte, Erzbischof Richard Gallagher, vor der UNO-Vollversammlung in New York.

(KNA/13.10.2023)