Es war eine Eskalation in mehreren Stufen: Aus den Medien erfuhr Eugen Drewermann 1991, dass ihm die Lehrbefugnis als katholischer Theologe entzogen werden sollte. Die Pressekonferenz, die Paderborns Erzbischof Johannes Joachim Degenhardt (1926-2002) für den 8. Oktober 1991 angesetzt hatte, um kirchliche Maßnahmen gegen den Priester, Psychotherapeuten und Bestsellerautor anzukündigen, weckte auch international große Aufmerksamkeit.
Vor Journalisten begründete Degenhardt den Entzug der Lehrerlaubnis damit, dass Drewermann wesentliche Aussagen der katholischen Lehre leugne. Drewermann selbst sah sich schon durch das Verfahren bestätigt: "Ich denke, es ist jedem klar, dass man, bevor man verurteilt, mit einem Angeklagten redet", erklärte er: "Genau das ist eben nicht passiert."
Der Konflikt eskalierte weiter: Weihnachten 1991 bezweifelte Drewermann im "Spiegel", dass Jesus die Sakramente in der von der Kirche verkündeten Form eingesetzt habe. Er bezeichnete Jungfrauengeburt, Weihnachtsgeschichte und Himmelfahrt als Mythen.
Es folgte ein Predigtverbot; im März 1992 verzichtete der Theologe - im Vorgriff auf weitere kirchliche Maßnahmen - auf die Ausübung des Priesteramts. An seinem 65. Geburtstag, am 20. Juni 2005, trat der heute 81-Jährige aus der Kirche aus - ein "Geschenk der Freiheit an mich selber", wie er sagte. Eine Abwendung vom Glauben sei das nicht.
Der Blick zurück zeigt, wie sehr sich die Situation verändert hat. Als einen "von der Kirche verkannten Propheten" bezeichnete der katholische Hildesheimer Bischof Heiner Wilmer Ende 2018 den Paderborner. Und der Freiburger Theologe Magnus Striet erklärte, wenn Drewermanns Buch "Kleriker" damals intensiv gelesen worden wäre, wäre Missbrauch teilweise verhindert worden.
Drewermann verbindet Theologie und Tiefenpsychologie. Noch 2019 veröffentlichte er ein Buch über den Dichter Hermann Hesse, zu dem er eine Seelenverwandtschaft fühlt, weil Hesse die Suche des Menschen nach sich selbst und die persönlich verantwortete Existenz zu zentralen Themen gemacht habe. Drewermann hat die Summe seines Denkens in seinem 2014 erschienenen Buch "Wendepunkte, oder: Was eigentlich besagt das Christentum?" veröffentlicht: Es ist das Plädoyer für einen Perspektivwechsel von einem institutionell-äußerlichen zu einem spirituellen, innerlichen Christentum. "Der Grundgedanke des Christentums besteht darin, Menschen zu verstehen und durch verstehen zu sich selbst zu führen", ergänzte er in einem Interview.
Für die einen war der Mann mit der monotonen Stimme und der Vorliebe für gestrickte Westen und Rollkragenpullover ein Guru, für andere ein Ärgernis. Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger sprach von einer Fehldeutung der Religion als "psychotherapeutischer Trick".
Drewermann seinerseits warf der Kirche vor, sie sei in dogmatischen Formeln erstarrt, verdecke die heilende Botschaft des Evangeliums und schreibe den Gläubigen eine lebensfremde Moral vor.
Geboren in einer gemischt-konfessionellen Bergmannsfamilie in Bergkamen bei Dortmund, studierte Drewermann Philosophie und Theologie, später Psychoanalyse. Ab 1972 war er als Priester in Paderborn tätig. Seit 1979 hielt er Vorlesungen in Religionsgeschichte und Dogmatik an der dortigen Fakultät. Bereits 1989 versuchte Drewermann in seinem Buch "Kleriker", 2019 neu aufgelegt, "ekklesiogene Neurosen" des Priester- und Mönchsstandes aufzudecken.
Zu den mehr als 80 in zahlreiche Sprachen übersetzten Büchern des Auflagen-Millionärs gehören ein mehrbändiges Werk über "Glauben in Freiheit", ein Roman über den als Ketzer verbrannten Giordano Bruno, dicke Wälzer über das Markus-, Johannes- und Lukas-Evangelium sowie Märchen-Interpretationen. Andere Werke bewegen sich im Grenzgebiet von Biologie, Kosmologie und Theologie.
Auch politisch mischt sich Drewermann ein. Er setzte sich für den Tierschutz ein und prangert Umweltzerstörung an. "Die Nato ist das aggressivste Bündnis, das die Menschheit je gesehen hat", polterte er. Und scheute sich 2014 auch nicht, bei einer Demonstration von Altkommunisten, Neu-Rechten wie den "Reichsbürgern" und Verschwörungstheoretikern aufzutreten.
Kirchlich gab es zuletzt weitere versöhnliche Signale: 2019 lud die Theologische Fakultät in Paderborn ihn zu einem Vortrag an seine frühere Wirkungsstätte ein. Drewermann selber bezeichnete Papst Franziskus als "aufrechte Person", die es allerdings oft schwer habe, sich durchzusetzen. Für ihn selbst, so Drewermann, gebe es keinen Weg zurück. "Jesus hat nicht einmal das Christentum gegründet und ganz sicher keine Kirche." (KNA, 09.09.2021)