Die Staatsanwaltschaft Köln ermittelt nun doch gegen Kardinal Rainer Maria Woelki. Ein aktuelles Interview des "Kölner Stadt-Anzeigers" habe den Anlass dazu gegeben, sagte Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer am Mittwoch der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Bisher lehnte die Behörde den Schritt wegen zu geringen Anfangsverdachts ab. Woelki wird vorgeworfen, er habe eine falsche Versicherung an Eides Statt abgegeben. Unterdessen belastet ein weiterer Rechtsstreit am Arbeitsgericht das Erzbistum.
Bei den Ermittlungen geht es um die Frage, wann genau Woelki mit dem Missbrauchsfall des früheren "Sternsinger"-Chefs Winfried Pilz befasst wurde. Er selbst erklärte in einem presserechtlichen Verfahren gegen die "Bild"-Zeitung an Eides Statt, dies sei erst in der vierten Juni-Woche 2022 geschehen.
Dem widersprach die Assistentin des früheren Personalchefs im Erzbistum, die heute in einer anderen Position für die Kirche arbeitet. Bereits 2015 habe sie eine Liste mit den Namen von 14 Priestern erstellt, denen Missbrauch angelastet wird, sagte sie dem "Stadt-Anzeiger". Darunter sei auch der Name Pilz gewesen. Ihr Vorgesetzter habe die Liste zu einem Termin mit Woelki mitgenommen.
"Mag sein, dass er sich das Blatt mit Pilz und den anderen 13 Namen nicht angeschaut hat. Aber befasst habe ich ihn damit. Ganz eindeutig", sagte die Frau. Nach der Sitzung mit Woelki habe sie von ihrem Chef wissen wollen, wie dieser auf die Liste reagiert habe. "Das hat den Kardinal überhaupt nicht interessiert", habe er geantwortet.
Die Erzdiözese wies die Anschuldigungen zurück, warf der Mitarbeiterin Spekulationen vor und kündigte die Prüfung von arbeitsrechtlichen Schritten gegen sie an. Die Frau wisse selbst nicht, "ob der Kardinal diese, eine andere oder gar keine Liste gesehen hat, behauptet dieses aber einfach ins Blaue hinein", so das Erzbistum.
Der Vorsitzende der Unabhängigen Aufarbeitungskommission im Erzbistum, Stephan Rixen, verlangte Aufklärung. Die Ausführungen der Frau sprächen dafür, "dass es in der Führungsspitze des Erzbistums mindestens eklatante Versäumnisse, wenn nicht ein bewusstes Wegschauen und Vertuschen gegeben hat", sagte der Staatsrechtler. Zu Boykottaktionen in Gemeinden rief die Initiative Maria 2.0 auf. Der Bonner Stadtdechant Wolfgang Picken warnte vor einem Glaubwürdigkeitsverlust für die ganze Kirche.
Unterdessen sieht sich das Erzbistum Köln mit einem weiteren Rechtsstreit konfrontiert. Mit Martina Köppen klagt erneut eine ehemalige Führungskraft am Arbeitsgericht Köln, wie das Gericht auf KNA-Anfrage mitteilte. Im Oktober war Köppen als Geschäftsführerin der "Stiftung zur Förderung von Bildung, Wissenschaft und Forschung im Erzbistum Köln" und der von Woelki geförderten Kölner Hochschule für Katholische Theologie (KHKT) freigestellt sowie als Hochschul-Kanzlerin abberufen worden.
Der Rechtsstreit steht laut Gericht in Zusammenhang mit der Beendigung von Köppens Tätigkeit bei der Stiftung, die für die KHKT gegründet worden war. Die Finanzierung der umstrittenen Hochschule ist ungeklärt. Köppen hatte laut Erzbistum eine seit Monaten geforderte Mittelfristplanung nicht vorgelegt. (kna, 09.11.22)