1922 grassierte in Deutschland die Hyperinflation. Geldscheine mit Billonenbeträgen gehörten zum Alltag. Jeden Tag verlor das Geld weiter an Wert. Es taugte weder als Zahlungsmittel noch als Wertmaßstab, und erst recht nicht zur Wertaufbewahrung. Damit hatte es seine dienlichen Grundfunktionen verloren. Wirtschaftskrise und Massenarbeitslosigkeit flankierten diese dunkle Zeit. Genau hundert Jahre später wird wieder hitzig über Inflation und ihre Gefahren diskutiert, selbst wenn wir von der damaligen Katastrophe noch weit entfernt sind. Immerhin war die Preissteigerungsrate in Deutschland 2021 mit 3.1 % wieder so hoch wie zuletzt 1993, und das im Januar 2022 mit weiter steigender Tendenz auf 5 %. Vieles wird teurer. Mieten und Immobilien am Wohnungsmarkt sind fast unerschwinglich. Es gibt keine Zinsen. So verlieren wir Geldwert, selbst wenn wir kein Geld ausgeben. Das ist die tückische Spirale schleichender Enteignung. Sie droht immer durch Zukunftsängste wie etwa vor Krieg oder Pandemie, weil dann die Menschen eine Wirtschaftskrise befürchten. Die es sich leisten können, fliehen dann mit ihrem Vermögen in Sachwerte. Inflation trifft so vor allem diejenigen, die sich keine Immobilien oder Rohstoffe (wie Gold, Silber o.a.) leisten können, die Sparer, deren Vermögen dahinschwindet und die alten Menschen, deren Renten immer weniger wert werden. Inflation ist sozial ungerecht, weil sie besonders die benachteiligt, die aufs Geld angewiesen sind. Und was kann jetzt dagegen getan werden?
Inflation geschient dann, wenn die Geldmenge mehr steigt als die Produktion und wenn sich die Geschwindigkeit erhöht, mit der die Menschen das Geld ausgeben (Umlaufgeschwindigkeit U). Für die Geldmenge ist maßgeblich die Geldpolitik der Zentralbank verantwortlich. U steigt vor allem bei sinkendem Vertrauen in den Geldwert. Dann nämlich will ich das Geld schnell los werden und setze es in Waren um. Denn morgen bekomme ich fürs gleiche Geld schon weniger. Vertrauensverlust kurbelt also weiter die Inflation an, ein Teufelskreis. Deshalb ist Vertrauen in den Geldwert ein besonders schützenswertes Gut.
In den Europäischen Verträgen wurde dafür das Ziel der Preisstabilität als die alleinige Aufgabe einer von politischen Einflüssen autonomen EZB festgeschrieben. So hatte es die Bundesbank vor der Währungsunion mit Erfolg praktiziert. Die Geschichte lehrte nämlich, dass politisch populäre Ziele das komplexe Ziel der Preisstabilität schnell gefährden. So etwa haben Staaten mit hoher Verschuldung ein Interesse an Inflation bei niedrigen Zinsen. Dann müssen sie am Ende weniger Wert zurückzahlen. Auch wirkt Inflation kurzfristig belebend am Arbeitsmarkt. Mehr Konsum schafft mehr Arbeit. Aber dieses Strohfeuer verpufft schnell, und es treten die negativen sozialen Effekte ein.
Vertrauen in die Geldpolitik ist wesentlicher Anker der Preisstabilität. Die hat in den letzten Jahren einigen Schaden genommen. Durch die EZB-Politik der Minuszinsen bei fortgesetzten Ankaufprogrammen staatlicher Anleihen wurde die Geldmenge im Euro-Raum deutlich aufgebläht. Die französische und italienische Tradition der Geldpolitik kennt die Autonomie der Zentralbank nicht und hat in den Präsidentschaften von Mario Draghi und Christine Lagarde an Einfluss gewonnen, während Jens Weidmann resignierte, der sich immer für das deutsche Vertrauensmodell stark machte. Inzwischen relativiert die EZB auch ihr Mandat der Preisstabilität und will auch andere politische Ziele (wie etwa Arbeitsmarkt, Umweltpolitik) selbst in die Hand nehmen. Das Ziel der Preisstabilität verliert so an Bedeutung.
Zwei Wege zum nötigen Vertrauen sind gangbar: 1.) Entweder werden von der EZB weiterhin die bestehenden Inflationsgefahren kleingeredet. Dieser Weg ist tugendethisch verwerflich, und mit seinen wirtschaftlichen und sozialen Konsequenzen gefährlich, weil er Vertrauen bewahren will, indem er Vertrauen missbraucht. 2.) Oder aber die EZB bekennt sich zu ihren Mandatsübertretungen und stellt sie ab. Dazu sollte die Minuszinspolitik beendet und mit einem Rückkauf der Staatsanleihen begonnen werden. Dann kann die EZB mit neuem Personal und neuem Geist zu ihrem Mandat zurückkehren. So kann sie ein vertrauenswürdiger Hüter der Geldwertstabilität werden, wie es einst die Bundesbank war. Das traurige Jubiläum der Hyperinflation sollte Anlass zu solcher Umkehr sein.
Prof. Dr. Elmar Nass