Sieben Jahre nach dem Beginn des Genozids an den Jesiden im Nordirak fordert der frühere Unionsfraktionschef im Bundestag, Volker Kauder (CDU), eine Aufarbeitung der damaligen Taten. "Für eine wirkliche Aufarbeitung ist es auch notwendig, dass die begangenen Verbrechen strafrechtlich verfolgt werden", sagte der CDU-Politiker am Montag in Berlin. Den Jesiden sei "unbegreifliches Leid" zugefügt worden.
Die Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS) hatte 2014 begonnen, Jesiden systematisch zu verfolgen und zu töten. Viele Frauen wurden verschleppt und versklavt. Als Gedenktag gilt der 3. August.
Kauder erinnerte daran, dass weiterhin Tausende von Frauen vermisst oder in den Händen der Terroristen seien. "Die gezielten und entmenschlichenden Grausamkeiten dürfen niemals vergessen werden", mahnte er. Zudem müsse den Jesiden, die bereits in ihre Heimat in Sindschar zurückgekehrt seien, wieder ein Leben in Freiheit, Sicherheit und Selbstbestimmung möglich sein.
Zukunftsperspektiven zu schaffen, sei eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, führte Kauder aus. Entscheidend für eine Zukunft in Frieden sei die Anerkennung der Religionsfreiheit durch Politik, Gesellschaft und Religionsgemeinschaften. "Jesiden müssen sich darauf verlassen können, dass ihre Würde überall im Irak geachtet und geschützt wird."
Wer sind die Jesiden?
Jesiden sind eine religiöse Minderheit unter den Kurden. Weltweit hat die monotheistische Religionsgemeinschaft mehrere hunderttausend Mitglieder. Die Jesiden leben vor allem im nördlichen Irak; ein großer Teil ist aber nach Angaben Einheimischer vor der Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) geflüchtet. Ferner leben Jesiden in Nordsyrien, im Nordwesten des Iran und im Südosten der Türkei. Auch in Westeuropa gibt es inzwischen jesidische Gemeinden. Nach Informationen der Bundeszentrale für politische Bildung befindet sich die weltweit größte Diasporagemeinde in Deutschland; sie habe rund 150.000 Mitglieder.
Der jesidische Glauben vereint Elemente verschiedener nahöstlicher Religionen, vor allem aus dem Islam, aber auch aus dem Christentum. Erstmals erwähnt werden die Jesiden in nahöstlichen Quellen des 12. Jahrhunderts. Ihr Name geht vermutlich auf den Kalifen Yazid I. ibn Muawiya (680-683) zurück. Das religiöse Zentrum ist Lalisch, eine Stadt im Nordirak nahe Mossul. Im Jesidentum gibt es keine verbindliche religiöse Schrift; die Glaubenslehren werden mündlich überliefert. Nach jesidischer Vorstellung ist Gott "einzig, allmächtig und allwissend". Jesiden glauben nicht an ein Paradies oder eine Hölle, sondern an Seelenwanderung und Wiedergeburt.
Jesiden haben ein weltliches und ein religiöses Oberhaupt. Jeside ist nur, wer von jesidischen Eltern abstammt. Heiratet ein Jeside einen Andersgläubigen, gilt das als Austritt aus der Religionsgemeinschaft. Jesiden wurden über die Jahrhunderte immer wieder verfolgt, sowohl religiös als auch ethnisch - wegen ihrer Zugehörigkeit zu den Kurden. Fundamentalistische Muslime betrachten sie als "ungläubig" und "vom wahren Glauben abgefallen". Daher verbergen Jesiden in ihren Heimatgebieten oft ihre Identität. Das Verhältnis zu Christen ist nach eigenen Angaben "gut". (KNA, 02.08.2021)