Kirchliches Arbeitsrecht im Wandel der Zeit

 (dpa)

Das eigenständige Arbeitsrecht der Kirchen ist in den vergangenen Jahren von verschiedenen Seiten massiv unter Druck geraten. Jetzt haben sich die katholischen Bischöfe auf eine Reform verständigt, nach der die private Lebensgestaltung, das Beziehungsleben und die Intimsphäre der Beschäftigten keinen Anlass mehr für Kündigungen bieten sollen.

Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) nennt wichtige Daten und Fakten.

  * Mai 1949: Das Grundgesetz gesteht den Kirchen zu, ihre Angelegenheiten weithin selbst zu regeln. Das soll die Glaubwürdigkeit der Verkündigung sichern. Entstanden ist seitdem - vor allem in der katholischen Kirche - ein Arbeitsrecht, das strenge Anforderung auch an das Privatleben der Mitarbeiter stellt. Danach kann gekündigt werden, wer aus der Kirche austritt oder sich scheiden lässt und standesamtlich erneut heiratet. Auch das Betriebsverfassungsgesetz gilt nicht. Löhne werden in paritätischen Gremien aus Dienstgebern und Dienstnehmern vereinbart. Streik und Aussperrung gibt es nicht. Die Gewerkschaften bleiben außen vor.

  * Januar 1956: In der sogenannten "Anstreicher-Entscheidung" entscheidet das Bundesarbeitsgericht, dass die katholische Kirche jedem Beschäftigten kündigen kann, der im Privatleben gegen fundamentale Glaubenssätze verstößt.

  * Juni 1985: Das Bundesverfassungsgericht bestätigt das kirchliche Arbeitsrecht und spricht den Kirchen eine weit gefasste Autonomie zu.

Es sei allein ihre Sache, verbindlich zu bestimmen, was "die Glaubwürdigkeit ihrer Verkündigung erfordere".

  * September 1993: Die katholische Bischofskonferenz erlässt die "Grundordnung des kirchlichen Dienstes", um der verfassungsrechtlich garantierten Freiheit eine rechtliche Grundlage zu geben. Die Grundordnung verpflichtet die Beschäftigten auf die katholische

Glaubens- und Sittenlehre. Zugleich werden Beteiligungsrechte der Mitarbeiter und ihrer Vertretungen festgeschrieben; sie sind allerdings stärker eingeschränkt als in weltlichen Betrieben.

  * Juli 2005: Die katholische Kirche installiert eine kirchliche Arbeitsgerichtsbarkeit. Streitigkeiten im kollektiven Arbeitsrecht können seitdem vor kirchlichen Gerichten geklärt werden. Vorher entschieden Schlichtungsstellen Konflikte zwischen Mitarbeitervertretungen (MAV) und Dienstgebern, ohne dass es eine Möglichkeit gab, die Entscheidungen zu überprüfen.

  * August 2006: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) tritt in Deutschland in Kraft und setzt mehrere europäische Gleichbehandlungsrichtlinien in deutsches Recht um. Ziel ist es, Benachteiligungen aus Gründen der ethnischen Herkunft, des Geschlechts, der Religion oder Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Identität zu verhindern.

  * Juni 2011: Die katholischen Diözesen verpflichten die kirchlichen Unternehmen und Rechtsträger, die nicht der bischöflichen Gesetzgebungsgewalt unterliegen, bis spätestens Ende 2013 die kirchliche Grundordnung verbindlich zu übernehmen. Sollte das nicht geschehen, fielen sie auch nicht mehr unter das kirchliche Arbeitsrecht. Damit reagieren die Bischöfe auf Vorwürfe aus Politik und Gewerkschaften, auch kirchliche Betriebe würden unter Tarif bezahlen und Beteiligungsrechte der Arbeitnehmer missachten.

  * März 2012: Die Stadt Königswinter bei Bonn entzieht bundesweit erstmals einer katholischen Pfarrgemeinde die Trägerschaft eines Kindergartens. Zuvor hatte die Kirchengemeinde der beliebten Kita-Leiterin gekündigt, weil sie nach der Trennung von ihrem Mann mit einem neuen Partner zusammenlebte.

  * November 2012: Das Bundesarbeitsgericht lockert das Streikverbot für Mitarbeiter der Kirchen. Die Kirchen dürften zwar ihr Arbeitsrecht in paritätisch besetzten Kommissionen und mit Hilfe eines Schlichters aushandeln: "Das gilt jedoch nur, soweit Gewerkschaften in dieses Verfahren organisatorisch eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Dienstgeberseite als Mindestarbeitsbedingung verbindlich ist."

  * Dezember 2012: Mit den Stimmen der Regierungskoalition aus Union und FDP sowie der SPD stellt sich der Bundestag hinter das kirchliche Arbeitsrecht und lehnt einen Antrag der Linksfraktion ab, der den sogenannten "Dritten Weg" infrage stellt. Politiker von Union, FDP und SPD verlangen allerdings von den Kirchen eine konsequente Anwendung der Rechte der Mitarbeiter und beklagen Missstände.

  * Mai 2015: Die katholischen Bischöfe setzen eine Reform des kirchlichen Arbeitsrechts für die mehr als 700.000 Mitarbeiter von Kirche und Caritas in Kraft. Für Wiederverheiratete oder eingetragene Lebenspartner soll es nur noch in schwerwiegenden Fällen arbeitsrechtliche Konsequenzen geben. Für pastorale, also in der Seelsorge tätige Mitarbeiter und Führungskräfte gelten indes weiterhin erhöhte Anforderungen. Gewerkschaften müssen künftig am Zustandekommen kirchlicher Arbeitsvertragsbedingungen beteiligt werden.

  * Oktober 2018: Kirchliche Arbeitgeber dürfen nach einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht bei jeder Arbeitsstelle von Bewerbern eine Religionszugehörigkeit fordern. Die Richter sprechen einer konfessionslosen Bewerberin, die sich erfolglos auf eine Stelle bei der evangelischen Diakonie beworben hatte, Schadensersatz zu. Zuvor hatte der Europäische Gerichtshof in dem Fall entschieden, dass kirchliche Arbeitgeber nicht völlig frei entscheiden können, sondern einer gerichtlichen Kontrolle unterliegen. Die Gerichte könnten feststellen, ob die Forderung nach einer bestimmten Konfessionszugehörigkeit im Einzelfall "wesentlich", "rechtmäßig" und "gerechtfertigt" sei.

  * Februar 2019: Das Bundesarbeitsgericht schränkt den Freiraum der Kirchen als Arbeitgeber erneut ein. Es entscheidet, dass die Kündigung des Chefarztes eines katholischen Krankenhauses wegen seiner zweiten standesamtlichen Heirat nicht rechtens war. Zuvor hatten sich auch das Bundesverfassungsgericht und der Europäische Gerichtshof mit dem Fall befasst. Alle Instanzen entschieden aus unterschiedlichen Gründen, dass die Kündigung unwirksam sei.

  * November 2021: Im Koalitionsvertrag verständigen sich die Ampel-Parteien auf eine Prüfung von Sonderrechten für die Kirchen.

"Gemeinsam mit den Kirchen prüfen wir, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden kann", heißt es. Verkündigungsnahe Tätigkeiten sollen dabei aber ausgenommen werden.

  * Mai 2022: Eine Arbeitsgruppe der Bischöfe stellt einen Entwurf für die Weiterentwicklung der Grundordnung des kirchlichen Dienstes vor. Demnach sollen die private Lebensgestaltung, Beziehungsleben und Intimsphäre der Beschäftigten keinen Anlass mehr für Kündigungen

  * November 2022: Die Bischöfe haben sich auf die Neufassung des Arbeitsrechts geeinigt. Die private Lebensgestaltung der Mitarbeitenden - etwa eine homosexuelle Partnerschaft oder eine zweite Ehe - sollen künftig keinen Anlass mehr zu Kündigungen bieten.

Die Neufassung ist allerdings zunächst nur eine Empfehlung an die Bistümer. Umsetzen muss sie jeder einzelne Ortsbischof. (Christoph Arens/Katholischen Nachrichtenagentur 22.11.2022)