Heinrich Schütz gilt als der erste deutsche Komponist mit europäischer Ausstrahlung. Als Dresdner Hofkapellmeister bestimmte er die Musik des Frühbarock. Eine Reise nach Venedig veränderte sein Leben.
Viele seiner Kompositionen sind im Dreißigjährigen Krieg entstanden: Heinrich Schütz (1585-1672) war der musikalische Chronist der Schreckensjahre zwischen 1618 und 1648. In seiner Musik spiegeln sich Zerstörung und Depression, aber auch Hoffnung und Zuversicht. Schütz gilt als der erste deutsche Komponist von europäischem Rang. Am 6. November jährt sich sein Todestag zum 350. Mal.
Zu seinen großen Verdiensten zählt die prägnante Vertonung deutscher Sprache. "Er hat Textausdeutungen gemacht, die einfach plausibler nicht möglich sind", sagt der Dirigent und Schütz-Kenner Hans-Christoph Rademann, Leiter der Internationalen Bachakademie Stuttgart. "Phänomenal vertont" seien unter anderem die Kleinen geistlichen Konzerte. Weil im Krieg großzügig angelegte Aufführungen nicht möglich waren, ließ der Komponist in kleinerer Besetzung musizieren. Schütz sei sehr anpassungsfähig gewesen.
Rademann hat mit dem Dresdner Kammerchor das Gesamtwerk von Schütz eingespielt. Er weiß um dessen kompositorische, neue Qualität protestantischer Kirchenmusik im 17. Jahrhundert. Schütz habe die deutsche Sprache mit den italienischen Ideen zusammengeführt, sagt er. Sein Werk sei "wie eine musikalische Bebilderung" der Texte, die oft biblische Verse sind.
Schütz hatte von 1609 an bei Giovanni Gabrieli (1554/57-1612) studiert, dem berühmten Organisten am venezianischen Markusdom. In Venedig habe er eine unglaubliche Inspiration erfahren, sagt Rademann. Die Mehrchörigkeit habe er dort geradezu aufgesogen: Die Aufführung der Kompositionen wurde dabei auf mehrere Chöre verteilt, die an verschiedenen Stellen des Raumes standen.
Die Stadt in der Lagune sollte Heinrich Schütz' Leben nachhaltig verändern. 1611 erschien in Venedig sein erstes Werk: Die italienischen Madrigale. Zu verdanken ist dies seinem Förderer und Gönner Moritz von Hessen-Kassel (1572-1632). Der Landgraf hörte Schütz zufällig auf einer Durchreise in Weißenfels im heutigen Sachsen-Anhalt, als dieser im Gasthaus seiner Eltern sang. Der Adlige war so begeistert von dem 12-jährigen Jungen, dass er ihm eine umfassende Ausbildung inklusive Stipendium anbot. Trotz Skepsis der Eltern ging Heinrich nach Kassel und ließ sich in der Hofkapelle sowie am Gymnasium unterrichten. Später finanzierte Landgraf Moritz ihm einen Studienaufenthalt in Venedig.
Geboren wurde Heinrich Schütz 1585 in Köstritz bei Gera als zweites von acht Kindern einer Gastwirtsfamilie. Wohl vor allem um seine Eltern zu beruhigen, studierte er auch Jura an der Universität Marburg. Doch eine Reise 1613 nach Dresden entschied endgültig über seinen beruflichen Werdegang: Kurfürst Johann Georg I. entdeckte den jungen Musiker für sich. Schütz wurde 1617 kurfürstlich-sächsischer Hofkapellmeister. Nach einigem Hin und Her mit dem Landgrafen in Kassel, der seinen Schützling nur ungern ziehen lassen wollte, trat er das anspruchsvolle Amt in Dresden mit 32 Jahren an. Er füllte es schließlich mehr als 50 Jahre lang aus - zuletzt als "Oberkapellmeister", was ihn von regelmäßigen Aufgaben befreite.
Der Komponist war für die gesamte evangelische Hofmusik sowie die musikalische Ausbildung der Chorknaben verantwortlich. Nach dem Amtsantritt in Dresden folgte eine enorm fruchtbare Periode. Unter anderem erschienen 1619 die "Psalmen Davids". Ganz nach italienischem Vorbild ließ er die Sänger an verschiedenen Orten im Kirchenraum auftreten und sorgte damit für reiche Klangfülle.
Schütz habe die Kunst retten wollen - in einer Zeit, in der Mangel herrschte, sagt Rademann. Auf die Widrigkeiten seiner Zeit habe er mit dem "Sound des Friedens" geantwortet. Allerdings habe er auch zornige Texte vertont.
Der Komponist hat mehrere persönliche Schicksalsschläge hinnehmen müssen, etwa den Tod seiner noch jungen Frau nach nur sechs Ehejahren. Es erstaunt daher nicht, dass er von einer "nahezu qualvollen Existenz" sprach. Doch den Schmerz verarbeitete er letzten Endes in seiner Musik. Den Lebensmut bezog er dabei aus seinem christlichen Glauben.
Zu Lebzeiten war Schütz hochgeschätzt und anerkannt. Heute stehe er oft ein wenig im Schatten von Johann Sebastian Bach (1685-1750) oder Georg Friedrich Händel (1685-1759), sagt die Intendantin des mitteldeutschen Heinrich Schütz Musikfestes, Christina Siegfried. Das hänge auch mit der unvollständigen Überlieferung seines Werkes zusammen.
Laut Siegfried sind rund 500, vor allem geistliche Kompositionen erhalten. Dies sei aber nur ein Teil seines Schaffens. Schütz habe auch zahlreiche weltliche Werke geschrieben, darunter Tänze für den dänischen Königshof.
Rademann spricht von einer Fehlentwicklung in der Rezeption. Schütz' Werke hätten lange Zeit als emotionslos gegolten. Das sei aus heutiger Sicht kaum vorstellbar. "Es gibt sehr, sehr viele Menschen, für die Schütz eine existenzielle Lebenshilfe ist", sagt der Dirigent: Musik wie eine Seelenmedizin. (Katharina Rögner/epd)