Papst-Biograf Peter Seewald hat den emeritierten Papst Benedikt XVI. gegen Vorwürfe der Fehler im Umgang mit sexuellem Missbrauch durch Priester aus seiner Zeit als Erzbischof von München (1977-1982) verteidigt. Im konkreten Fall um den Priester und Missbrauchstäter Peter H. etwa gebe es "keinerlei Belege dafür, dass Ratzinger involviert ist", sagte Seewald am Donnerstag im ARD-Morgenmagazin.
Der Essener Diözesanpriester Peter H. hat sich in seiner Zeit als Geistlicher an Minderjährigen an mindestens vier Orten in Nordrhein-Westfalen und Oberbayern vergangen. Bisher haben sich rund 30 Betroffene gemeldet. Anfang 1980 kam er, bereits durch Übergriffe auffällig geworden, nach München und sollte sich dort einer Therapie unterziehen. Auf eine Anzeige oder ein eigenes Strafverfahren verzichtete die Kirche. Kurz nach seiner Übersiedlung arbeitete H. ab 1982 wieder als Seelsorger, bis ihn der Essener Bischof Overbeck 2010 nach neuerlichen Vorwürfen aus dem Verkehr zog. 2020 kehrte H. ins Bistum Essen zurück, wo er heute zurückgezogen und unter Aufsicht lebt.
Laut Seewald war der damalige Erzbischof Ratzinger weder bei der Aufnahme H.s zur Therapie noch bei dessen Wiedereinsetzung als Priester involviert. Es habe damals eine Anfrage aus dem Bistum Essen gegeben, ob der Priester H. auf eine begrenzte Zeit zur Therapie nach München kommen könne. "Die Hintergrunde wurden nicht erörtert", erklärte Seewald. Demnach hatte der damalige Münchner Generalvikar Gerhard Gruber der Aufnahme H.s in einer Sitzung zugestimmt, an der der Erzbischof nicht teilgenommen habe.
Gleichzeitig hob der Autor das offensive Vorgehen Ratzingers gegen Missbrauch als Präfekt der Glaubenskongregation sowie später als Papst hervor. So habe dieser die Grundlagen für die Verfolgung des Missbrauchs geschaffen und eine "Null-Toleranz-Politik" eingeführt. "Es steht fest, dass ohne Papst Benedikt die Aufarbeitung des Missbrauchs in der katholischen Kirche nicht so weit wäre, wie sie jetzt ist", betonte Seewald.
Seewald äußerte sich anlässlich der Veröffentlichung des Gutachtens zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Erzbistum München und Freising. Die von der Erzdiözese beauftragte Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) wird dieses am Vormittag präsentieren. Brisant daran ist, dass im Untersuchungszeitraum 1945 bis 2019 prominente Kirchenmänner an der Spitze des Erzbistums standen, neben Ratzinger, außerdem die Kardinäle Friedrich Wetter und Reinhard Marx, zudem Michael Faulhaber, Joseph Wendel sowie Julius Döpfner.