Das Weltwirtschaftsforum will angesichts von geopolitischen Krisen und Kriegen bei seiner Tagung in Davos eine Plattform für Austausch und Zusammenarbeit bieten. "Vertrauen wieder herstellen", ist das Motto des Treffens, zu dem in dieser Woche die politisch-ökonomische Weltelite zusammenkommt. Längst dominiert die Politik: Erwartet werden unter anderem der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und Israels Präsident Isaac Herzog.
Das Weltwirtschaftsforum tue alles, um Dialoge in Gang zu setzen, hieß es vorab. Mehr ist auch eigentlich nicht zu erwarten, denn das Schweizer Treffen ist üblicherweise kein Gipfel, bei dem hart verhandelt wird. Es geht vielmehr um Austausch und persönliches Kennenlernen.
Wirtschaftspolitisch ist seit Beginn der Kriege in der Ukraine und in Gaza ebenfalls viel Vertrauen verloren gegangen. Zwar scheinen sich die meisten Länder von den energiepolitischen Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine erholt zu haben. Doch nun zeichnen sich Auswirkungen des Konflikts im Nahen Osten ab, allen voran Lieferengpässe wegen der Angriffe von Huthi-Rebellen auf Schiffe im Roten Meer.
Die Entwicklungsorganisation Oxfam beklagte, unter den Kriegen und der Inflation der vergangenen Monate litten vor allem arme Menschen, die zuletzt noch ärmer geworden seien. Die fünf Reichsten der Welt - allesamt Männer - hätten ihr Vermögen seit 2020 dagegen mehr als verdoppelt. In ihrem am Montag veröffentlichten Bericht sagt die Organisation voraus, dass die Welt schon in zehn Jahren ihren ersten Dollar-Billionär haben könnte. Die globale Armut dagegen wäre auch in 230 Jahren noch nicht vollständig überwunden.
Oxfam sieht die Gesellschaft deswegen vor einer immer größeren Zerreißprobe. "Während Milliarden von Menschen die Schockwellen von Pandemie, Inflation und Krieg ertragen müssen, boomen die Vermögen der Milliardär*innen", hieß es. Die Ungleichheit verstärke geschlechtsspezifische und rassistische Diskriminierungen, weil marginalisierte Gruppen wie Frauen oder nicht-weiße Menschen besonders betroffen seien.
Entwicklungsministerin Svenja Schulze erklärte, der Bericht lege den Finger in die Wunde. "Wir leben in einer extrem ungleichen Welt und das ist ein Problem für uns alle", sagte die SPD-Politikerin. Extreme Ungleichheit gefährde den Zusammenhalt in der Gesellschaft und die Demokratie, sie hemme eine menschenwürdige Entwicklung und zementiere Armut. Viel zu oft würden bei Verteilungsfragen diejenigen gegeneinander ausgespielt, die es ohnehin schwer hätten - auch in Deutschland. Das blende aus, dass Superreiche viel zu wenig zum Gemeinwesen beitrügen. Schulze setzte sich für höhere Steuern auf sehr große Vermögen und überdurchschnittlich hohe Unternehmensgewinne ein. Nötig sei hier das Engagement der Finanzministerien weltweit.
Wachsende soziale Ungleichheit, Ungerechtigkeit und Gegensätze führten zu Politik- und Staatsverdrossenheit, Rassismus und Kriminalität, warnte der Sozialverband Deutschland. Er forderte wie Oxfam höhere Steuern für Menschen mit hohen Einkommen und Vermögen sowie Unternehmen. In Davos gingen mit dieser Forderung vor Beginn des Weltwirtschaftsforums auch mehrere Hundert Demonstranten auf die Straße. Sie verlangten von Wirtschaftsbossen und Politik zudem mehr Einsatz für Klimaschutz und wandten sich gegen Kapitalismus.
Damit sind sie in Davos üblicherweise an der richtigen Adresse, denn das Weltwirtschaftsforum gilt als Kontaktbörse für die ökonomische Elite. Die großen Unternehmen bauen sich in dem Schweizer Skiort für eine Woche quasi kleine Unternehmenssitze auf.
Aktuell ist das Treffen jedoch vor allem geopolitisch geprägt. Selenskyj will in diesem Jahr - nach Videoschalten in den Vorjahren - persönlich um Unterstützung für sein von der Ukraine angegriffenes Land werben. Auch der amerikanische Außenminister Antony Blinken wird erwartet, ebenso der chinesische Premier Li Qiang. Welche Gespräche hinter den Kulissen geführt werden, war zunächst nicht bekannt.
Auch wichtige Interessenvertreter rund um den Gaza-Krieg könnten zusammenfinden. Neben Herzog stehen die Ministerpräsidenten aus Katar, dem Irak, Jordanien und Libanon auf der Gästeliste. Auch der iranische Außenminister wird erwartet.
Aus Deutschland reisen Wirtschaftsminister Robert Habeck, Außenministerin Annalena Baerbock (beide Grüne) sowie Finanzminister Christian Lindner und Forschungsministerin Bettina Stark-Watzinger (beide FDP) an. Kanzler Olaf Scholz (SPD) dagegen spricht anders als in den Vorjahren nicht auf dem WEF.
Außerdem werden rund 800 Unternehmenschefs erwartet, darunter Microsoft-Gründer Bill Gates und Sam Altman, der Entwickler des populären Chatbots ChatGPT. Künstliche Intelligenz (KI) soll eines der herausragenden Wirtschaftsthemen sein. (dpa)