Seit Januar regiert in Israel die rechteste Regierung in der Geschichte des Staates. Ganz oben auf ihrer politischenAgenda: der Umbau des Justizsystems mit einer deutlichen Schwächung des obersten Gerichts. Das erste Kernelement dafür ist seit Montag Gesetz. Worum geht es bei der Reform? Die Katholische Nachrichten-Agentur (KNA) beantwortet einige wichtige Fragen:
Worum geht es in der Justizreform?
Es handelt es sich um ein Paket von Gesetzentwürfen, die darauf abzielen, die Macht des obersten Gerichts einzuschränken, derRegierung mehr Einfluss auf die Ernennung von Richtern einzuräumen und unabhängige Rechtsberater aus Ministerien zu entfernen. Jeder Entwurf muss bis zu seiner Annahme drei Lesungen im Parlamentsplenum durchlaufen. Sollte die Überarbeitung verabschiedet werden, wäre dies die größte Umgestaltung des israelischen Justizwesens seit seiner Gründung 1948.
Wie ist der Stand der Umsetzung?
Das erste Kernelement ist seit Montag Gesetz. Mit der Abschaffung der Angemessenheitsklausel hat die Regierung dem obersten Gericht die Befugnis entzogen, Regierungsentscheidungen aufzuheben, die es für unangemessen hält. Schon im März wurde ein Gesetz ratifiziert, dass die Absetzung eines amtierenden Ministerpräsidenten auf gesundheitliche oder mentale Gründe einschränkt. Die Entscheidung dazu kann nur der Amtsinhaber oder eine Dreiviertelmehrheit des Kabinetts treffen. In erster Lesung angenommen wurde im Februar die sogenannte Außerkraftsetzungsklausel. Sie sieht vor, dass eine einfache Mehrheit von 61 Parlamentariern Entscheidungen des obersten Gerichts überstimmen kann.
Was sind die Argumente für die Reform?
Das Gericht verfüge über zu viel Macht; das Gleichgewicht zwischen den Gewalten müsse wiederhergestellt werden, sagen die Anhänger der Reformpläne. Die Justiz mische sich zu sehr in die Gesetzgebung ein und sei in ihrer Liberalität nicht repräsentativ für das Volk.
Was sagen die Kritiker?
Gegner werfen der Regierung vor, sich der Kontrolle auf Basis der demokratischen Gewaltenteilung entziehen zu wollen; sie sehen denRechtsstaat Israel in Gefahr. Der Umbau des Justizsystems könne Ministerpräsident Benjamin Netanjahu helfen, sich der Strafverfolgung in seinem Korruptionsprozess zu entziehen. Netanjahu streitet jegliches Fehlverhalten ab. Mitglieder der israelischen Armee befürchten, die Reform könne eine Verfolgung vor internationalen Gerichten wegen Kriegsverbrechen erleichtern.
Stimmt die Kritik, dass das oberste Gericht zu viel Macht habe?
De facto hat Israel einen relativ mächtigen Obersten Gerichtshof. Er ist jedoch die einzige Kontrollinstanz für die politische Macht undhat eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit. Israel verfügt weder über eine Verfassung noch über zwei Parlamentskammern. Exekutive und Legislative werden von derselben Regierungskoalition kontrolliert. Grundgesetze werden mit einfacher Mehrheit verabschiedet. Die Reform würde dem obersten Gericht unmöglich machen, grundlegende Gesetze und ihre Änderung wirkungsvoll zu prüfen.
Kann das oberste Gericht das Gesetz zur Abschaffung der Angemessenheitsklausel kippen?
Mindestens drei zivile Organisationen haben sich mit einer Petition an den Obersten Gerichtshof gewandt. Sie sehen das neue Gesetz in Widerspruch zu den Grundgesetzen des Landes und fordern den Gerichtshof auf, es für ungültig zu erklären. Die Aufhebung desGesetzes wäre ein Novum, da das Gericht bislang noch nie ein Grundgesetz für ungültig erklärt hat. Laut Verfassungsexperten könntees aber rechtliche Argumente geben; etwa wenn das Gericht urteilte, dass es sich um eine grundgesetzwidrige Grundgesetzänderung handelt. Sollte das Gericht das Gesetz kippen, das seine Befugnisse einschränken soll, und die Regierung entschiede sich, dem Gerichtnicht zu folgen, drohte dem Land eine nie dagewesene Verfassungskrise.
Was ist nun zu erwarten?
Mit einem Wegfall der Angemessenheitsklausel könnte der vorbestrafte Arieh Deri (Schass-Partei) Innen- und Gesundheitsminister werden, nachdem das oberste Gericht seine Ernennung im Januar noch als "unangemessen" untersagte. Auf der Agenda der rechtsnationalen Regierung und insbesondere ihrer rechtsradikalen Kräfte stehen ferner eine Annexion besetzter palästinensischer Gebiete, eine Schwächung öffentlich-rechtlicher Medien, eine Lockerung der Waffengesetze, der Einsatzregeln für bewaffnete Sicherheitskräfte, die Durchsetzung der Todesstrafe für palästinensische Terroristen sowie eine Rücknahme von Gesetzen, die Frauen- und Minderheitenrechte schützen.
Was bedeutet der Umbau des Justizwesens für die Palästinenser?
Das oberste Gericht ist die einzige israelische Institution, die Palästinensern im Kampf um ihre Rechte offensteht, etwa beiLandstreitigkeiten mit israelischen Siedlern. Eine Schwächung des Gerichts könnte somit auch für sie erhebliche Auswirkungen haben. (Quelle: Andrea Krogmann (KNA)/ 26.07.2023)