Stichtag wird auf den 1. Mai 2007 verschoben - Gegner bezweifeln, dass es bei einmaliger Verschiebung bleibt

Schwarzer Tag für den Lebensschutz

Der Bundestag hat entschieden: Der Stichtag bei der embryonalen Stammzellforschung wird (vorerst) einmalig verschoben. Damit haben sich die 346 Befürworter des Antrags für mehr Forschung und gegen eine konsequente Ausrichtung am Lebensschutz entschieden. 228 Abgeordnete stimmten gegen den Antrag. Der Fraktionszwang war aufgehoben worden.
Die katholische Kirche und hier namentlich die Erzbischöfe Meisner und Zollitsch hatten im Vorfeld vehement gegen eine solche Entscheidung plädiert.

 (DR)

Zuvor hatte das Parlament sich bereits gegen eine unbeschränkte Forschung durch eine Aufhebung der bisherigen Stichtagsregelung ausgesprochen. In weiteren Abstimmungen entscheidet der Bundestag im Anschluss über die einmalige Verschiebung des Stichtages oder die Beibehaltung der jetzt geltenden gesetzlichen Regelung.

Zu Beginn der Debatte hatte Bundesforschungsministerin Annette Schavan (CDU) erneut für eine einmalige Verschiebung des Stichtages geworben. Sie warb dafür, auch die ethischen Überzeugungen der Wissenschaftler ernstzunehmen. Es gehe nur um Embryonen, bei denen die Entscheidung bereits getroffen sei, sie nicht für eine Schwangerschaft einzusetzen. Damit sei ihnen also die Voraussetzung zum Leben bereits genommen. Auch Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) warb für diesen Weg. Dagegen warnten die Ministerinnen im Bundeskanzleramt Maria Böhmer und Hildegard Müller (beide CDU) entschieden für eine Verschiebung des Stichtags. Wer diesen einmal verschiebe, hebe ihn letztlich auf.

In der häufig von Beifall begleiteten Debatte ergriffen insgesamt 21 Abgeordnete das Wort. 13 plädierten für eine Ausweitung der Forschung an embryonalen Stammzellen, acht dagegen. Das entsprach der Zahl der offiziellen Unterstützer bei den vorher eingereichten Anträgen. Die Meinungsäußerungen gingen quer durch die Fraktionen. Lediglich von der CSU ergriff kein Abgeordneter das Wort.

Meisner: Appell an Abgeordnete
Im Vorfeld hatte der Kölner Kardinal Joachim Meisner erneut an die Bundestagsabgeordneten appelliert, jede Forschung an menschlichen embryonalen Stammzellen zu verbieten.

Das sei "der einzige Weg, um das Unrecht gegen Würde und Leben embryonaler Menschen zu beenden", betonte der Erzbischof gegenüber dem domradio. Von den Politikern hänge es ab, "ob der 11. April zu einem schwarzen Tag für den Lebensschutz in Deutschland wird, oder ob er einen Gewinn für die Menschenwürde der Schwächsten und Wehrlosen bringt".

Die Angeordneten müssten ihre Gewissensentscheidung "an der höchsten und wichtigsten Norm des Grundgesetzes ausrichten: Die Würde des Menschen ist unantastbar", so der Kardinal. Leben beginne nach christlichem Menschenbild mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle. Von dem Zeitpunkt an verbiete es sich, den Menschen "als bloßes Zellenmaterial zu benutzen". Kein medizinischer oder wissenschaftlicher Zweck erlaube es, von dieser Norm eine Ausnahme zu machen.

Bei der Gewinnung embryonaler Stammzellen würden "Menschen am Anfang ihrer Existenz" schwer geschädigt oder getötet, erklärte Meisner.
Selbst wenn Wissenschaftler in Deutschland auch künftig nur im Ausland gewonnene Stammzellen nutzen dürften, befreie sie das nicht von ihrer Mitverantwortung. Sie trügen Mitschuld "für die Art und Weise, wie diese Stammzellen gewonnen sind". Dasselbe gelte für Politiker, die mit ihren Entscheidungen die Voraussetzungen dafür schafften.

Die 2002 getroffene Stichtagsregelung sei bereits ein "großer Fehler" gewesen, so Meisner. Schon damals sei voraussehbar gewesen, dass diese Festlegung irgendwann infrage gestellt werden würde. Nur der völlige Verzicht auf die embryonale Stammzellforschung könne das Unrecht beenden. Auf keinen Fall dürfe es aber dazu kommen, dass "durch eine Verschiebung oder Aufhebung des bestehendes Stichtags die gesetzlichen Beschränkungen, die jetzt noch bestehen, weiter aufgeweicht" würden. Es gehe nicht um eine Spezialistenfrage, sondern "um die Grundlage des christlichen Menschenbilds und um die Werte unserer freiheitlich-demokratischen Verfassung", so der Kölner Kardinal.

Meisner: Merkel darf Krönung der Schöpfung nicht ausklammern
Meisner kritiserte indirekt auch Bundeskanzlerin Merkel, die sich für eine Stichtagsverschiebung ausgesprochen hat: "Die Bundeskanzlerin sagte gestern in Berlin, der Artenschutz im Hinblick auf die Tiere ist Chefsache und sie fügte hinzu, wenn wir mit der Schöpfung nicht gut umgehen, schlägt das auf uns selbst zurück. Sie hat völlig Recht, aber sie darf dabei die Krone der Schöpfung, den Menschen, nicht ausklammern: Der Embryonenschutz ist gleichsam der Test, wie die regierungstragenden Parteien mit der Schöpfung umgehen. Danach werden wir sie beurteilen."

Ökumenischer Schulterschluss
Auch der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Robert Zollitsch, rief im domradio die Abgeordneten des Bundestags auf, eine Liberalisierung der Forschung zu verhindern.

Erneut haben auch die Bischöfe Reinhard Marx und Johannes Friedrich in einem ökumenischen Schulterschluss eine Verschiebung des Stichtags für den Import embryonaler Stammzellen abgelehnt. «Embryonen dürfen nicht zum Sterben produziert werden», erklärten der Münchner katholische Erzbischof Marx und der bayerische evangelische Landesbischof Friedrich in München übereinstimmend.

Dagegen bekräftigte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, seine Position, eine einmalige Stichtagsverschiebung sei ethisch unbedenklich. Die Kirchen müssten akzeptieren, dass es in dieser Fragen ein gewisses Meinungsspektrum gebe, so Huber, dessen Position innerhalb der EKD umstritten ist.

Fachministerin Schavan, als prominente Katholikin persönlich im Dilemma, schloss dieser Tage erneut aus, dass aus der von ihr befürworteten Liberalisierung der Stammzellforschung der allmähliche Rückzug vom Embryonenschutz folge. «Ich kenne niemanden im Bundestag, der im Zusammenhang mit der Debatte um die Stammzellforschung das Embryonenschutzgesetz thematisiert hätte», so Schavan, die auch als Mitglied des Zentralkomitees der deutschen Katholiken in die Kritik geraten ist.

Für Schavans Minister-Kollegen Horst Seehofer (CSU) käme eine Beibehaltung der jetzigen Regelung einem Forschungsstopp gleich, weil die vorhandenen Stammzelllinien größtenteils nutzlos seien. Zugleich sprach er sich in der «Financial Times Deutschland» (Donnerstag) gegen eine vollständige Abschaffung der Stichtagsregelung aus.

Die Unions-Bioethikexpertin Julia Klöckner (CDU) wandte sich entschieden gegen jede Gesetzesänderung. Im Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) warnte sie vor einem
Dominoeffekt: «Einmal den Stichtag verschieben heißt: immer wieder verschieben.» Ähnlich äußerten sich die Politikerinnen Maria Böhmer (CDU), Margot von Renesse (SPD) und Andrea Fischer (Grüne). Es fehle eine nachvollziehbare ethische Begründung, hieß es in einem Beitrag der Wochenzeitung «Die Zeit» (Donnerstag).

Der CDU-Europaabgeordnete Peter Liese warnte vor negativen Konsequenzen, die eine Liberalisierung auf internationaler Ebene haben könnte. Viele Staaten orientierten sich an Deutschland, sagte der Bioethik-Experte der christdemokratisch-konservativen EVP-Fraktion im Europaparlament.

Die Aktion Lebensrecht für Alle (ALfA) rief zu einer Mahnwache am Freitag in Berlin auf. Umfragen hätten gezeigt, dass eine Bevölkerungsmehrheit auf die embryonale Stammzellforschung verzichten wolle.