In Berlin steht ein kleines Stück Tibet

Drahtesel mit Gebetsfahnen

Bunte tibetische Gebetsfahnen schmücken das Fahrrad vor Haus Nummer 10 der Habsburgerstraße. Allein die kleinen Banner verraten, dass der Altbau ein kleines Stück Tibet beherbergt. Seit nun zehn Jahren leben und unterrichten buddhistische Meister im Tibetisch-Buddhistischen Zentrum in Berlin-Schöneberg, einem von rund 15 in Deutschland.

Autor/in:
Klaus Nelißen
 (DR)

So unscheinbar das Äußere, so anheimelnd das Innere des Zentrums:
Rote und safranfarbene Stoffe und Kissen, bunte Borden und Abbildungen mit freundlich lächelnden Mönchen schaffen eine wohlige Atmosphäre. Auf dem Sofa-Tisch liegen Blüten und Knabberzeug, Jasmintee dampft aus Tassen mit China-Dekor. "Die Tibeter sind etwas barocker als die anderen Buddhisten", scherzt Nicola Hernadi. Die 40-Jährige gehört zum Vorstand des Zentrums.

"Wir sind nur eine kleine Gruppe", sagt die Deutsche. Sehr engagiert sei ein harter Kern von 20. "Dass der Buddhismus jetzt einen absoluten Hype erfährt, wie die Medien darstellen, stimmt überhaupt nicht." Viele, die neugierig würden, hätten Schwellenangst. Dennoch kämen immer wieder Interessierte, weil sie vom Dalai Lama erfahren hätten. Hernadi kam zum Buddhismus über eine Reise ins indische Dharamsala, das Exil des Dalai Lama, des politischen und geistlichen Oberhaupts der Tibeter. Seitdem studiert sie die Schriften und praktiziert die Gebetsübungen des 1.400 Jahre alten Vajrayana-Buddhismus, der im Westen als der tibetische Buddhismus bekannt ist.

Für Hernadi ist die Bewahrung des alten indischen Buddhismus eine Pflege von Weltkulturerbe. Nirgends sonst gebe es so lange Traditionsketten wie in den tibetischen Klöstern. "Es wäre jammerschade, wenn dieses Wissen mit den Meistern verloren ginge", sagt sie und nippt an ihrem Tee. Ihr gehört auch das Gebetsfahnen-Fahrrad, mit dem sie in Berlin auch politisch Farbe bekennen will.

"Der Dalai Lama hat immer gegen Gewalt gepredigt"
"Ich kenne kein anderes Fahrrad mit Gebetsfahnen", sagt Lobsang Gendün. Der 30-jährige Tibeter sitzt neben Hernadi auf dem Sofa und lacht. Rund 700 Tibeter leben in Deutschland, 30 davon in Berlin - Gendün und sein Lehrer Geshe Rigzin Gyaltsen sind die einzigen tibetischen Mönche in der Hauptstadt. Mit 14 kam Gendün in ein Exil-Kloster in Indien. Sein Vater hatte ihn in einem wochenlangen Marsch über die Grenze geschmuggelt. Er wollte, dass es dem Sohn einmal besser geht. Von seiner Heimat hört Gendün nur noch aus den Medien und aus Telefonaten, die er hin und wieder mit seiner Familie führt. Sogar während der vergangenen Wochen gelang ihm ein Kontakt.

Rückkehr bislang ausgeschlossen. Seit 2001 lebt Gendün - auf Einladung des Zentrums - an der Spree. Die wuselige Großstadt hat ihn anfangs irritiert. "Bis dahin hatte ich fast nur im Kloster gelebt, einfach und überschaubar", sagt er. Mittlerweile hat sich Gendün an das Berliner Leben und auch an die Zerstreuungen vom buddhistischen Studium gewöhnt. Er will nicht mehr weg. Im Zentrum hält er Vorträge über die Lehre der Achtsamkeit, Dharma. Darüber hinaus arbeitet er in der Gefängnisseelsorge von Deutschlands größter Justizvollzugsanstalt in Tegel. Einmal im Monat spricht er mit Häftlingen über den Buddhismus. Er will sie ermuntern, ihre Zeit sinnvoll zu nutzen und nicht auf dumme Gedanken zu kommen.

Dass junge Menschen aus seinem Volk gegen die Führung in Peking auf die Straße gehen, kann er verstehen - nicht aber die Anwendung von Gewalt. "Der Dalai Lama hat immer gegen Gewalt gepredigt." Gendüns Form des Widerstands ist das Gebet. Jeden Tag beten die Mönche vor den großen Buddha-Statuen und dem Bild des Dalai Lama sogenannte Tara-Pujas, Gebete für Frieden und Wohlergehen. Kürzlich betete Gendün mit rund 80 Demonstranten auch vor dem Brandenburger Tor. Weil er in einem freien Land auch für seine Familie in Tibet mitdemonstriere, will er nun noch ein Zeichen setzen. Künftig hängt eine Tibet-Fahne aus dem Fenster der Habsburgerstraße 10.