Auf den Spuren jüdischen Lebens in Äthiopien

Stumme Zeugen einer untergegangenen Kultur

Einst blühte das jüdische Lebens in Äthiopien, lange Zeit war das Judentum die dominante Religion im Land. Von dem glänzenden Erbe ist heute nur noch wenig zu sehen. In einem Dorf nahe der der früheren äthiopischen Hauptstadt Gonder erinnern nur noch einfache Töpferarbeiten an die vergangenen Tage.

Autor/in:
Anja Bengelstorff
 (DR)

Der Pferdekarren braucht 20 Minuten von Gonder nach Wolleka im bergigen Nordwesten Äthiopiens. Die holprige Fahrt führt vorbei an Gemüseverkäufern und Bauern, die ihre Kühe und Ziegen zum Markt treiben. Immer wieder sind Gruppen von Dorfbewohnern zu Fuß in die Hauptstadt der Region Amhara unterwegs.

Öffentliche Kleinbusse verkehren nur selten. Am Straßenrand sind die Blätter der Eukalyptusbäume schwer und grau vom Staub der ungepflasterten Allee. Plötzlich hält der Wagen neben ein paar einfachen Ständen mit Keramikauslagen. In ungelenken Buchstaben ist darüber zu lesen: "Willkommen in Wolleka".

Stilisierte Tierfiguren mit Davidsternen
Einst Teil des blühenden jüdischen Lebens in Äthiopien, ist das Dorf, sechs Kilometer nördlich der früheren äthiopischen Hauptstadt Gonder, heute nur noch ein blasser Schatten seiner selbst. "Beta Israel", zu deutsch "Haus Israel" nannten sich die in der Region ansässigen äthiopischen Juden selbst. Um ihre Herkunft ranken sich Geheimnisse und Legenden. Demzufolge stammen sie von Menelek ab, dem Sohn König Salomons und der Königin von Saba. Eine andere Überlieferung führt sie auf den verlorenen Stamm Dan zurück. Wissenschaftler wiederum vermuten den Ursprung der äthiopischen Juden in Ägypten oder Südarabien.

Lange Zeit blieb das Judentum die dominante Religion. Doch dann breitete sich das Christentum aus. Äthiopische Juden, die sich der Konvertierung verweigerten, verloren ihr Land. Um zu überleben, wandten sie sich dem Handwerk zu und brachten es darin bald zu angesehenen Experten. Forscher vermuten, dass sie im 17. Jahrhundert Arbeitskräfte für den Bau und die Dekoration des Schlosses in Gonder zur Verfügung stellten. Von diesem glänzenden Erbe ist in Wolleka heute jedoch nur noch wenig zu sehen. Lediglich einfache Töpferarbeiten - Kerzenständer und stilisierte Tierfiguren mit Davidsternen - zeugen vom Ruhm vergangener Tage. Die Dörfler nutzen den Ruf ihrer früheren Nachbarn, um ihr Einkommen aufzubessern.

Die heutzutage nurmehr aus wenigen Hütten bestehende Ortschaft hat keine jüdischen Einwohner mehr. "Die Mehrheit ist Anfang der 1990er Jahre nach Israel ausgewandert. Der Rest ist nach Gonder gezogen", sagt der einheimische Reiseführer Alexander Kemal. Dort werden Gottesdienste mittlerweile in einer Mehrzweckhalle abgehalten, während die Zeit mit dem Warten auf die Ausreise verstreicht. Aufmerksame Besucher stoßen allerdings auch in Wolleka selbst noch auf die ein oder andere Hinterlassenschaft der jüdischen Bewohner.

Manchmal wird die Synagoge noch genutzt
Ein Davidstern ist mit blauer Farbe auf eine Rundhütte gemalt, deren baufällige Blechtür eine junge Frau aufschließt. Die Synagoge des Dorfes. An den Wänden einfache Malereien, sonst ist sie leer. Nachdem der letzte Jude 1994 das Dorf verlassen hatte, wurde das Bethaus zeitweilig als Privatunterkunft genutzt. Seither ist die Decke rußgeschwärzt von verbrannter Holzkohle. "Manchmal wird die Synagoge noch genutzt, wenn die nach Israel ausgewanderten Juden zu Besuch kommen", erzählt Reiseführer Kemal. Die Emigranten schickten Geld für die Instandhaltung.

Auch der jüdische Friedhof ist dank der Heimatverbundenheit der Emigranten noch erhalten. Der Weg führt aus Wolleka hinaus auf einer staubigen Landstraße zu einem erstaunlich gepflegten Areal. Bis in die 1990er Jahre wurde der Friedhof genutzt. Die Grabstätten sind in bunten Farben angestrichen und größtenteils in der Landessprache Amharisch beschriftet. Dazwischen finden sich immer wieder Gedenktafeln, die ausgewanderte Juden haben anbringen lassen. Auf einer von ihnen ist der wehmütige Spruch zu lesen: "Im Gedenken an die Beta Israel, die von Jerusalem träumten, aber ihren Traum nicht verwirklichten, ins Heilige Land zu gelangen."