Bundeskanzlerin Angela Merkel über Bioethik, Muslime und den Papst

"Dem christlichen Menschenbild verpflichtet"

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat sich wenige Wochen vor der Wahl in einigen gesellschaftspolitischen Fragen deutlich von der FDP abgegrenzt und das christliche Menschenbild der CDU betont. In einem Interview der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA) am Freitag in Berlin äußerte sich Merkel zu bioethischen und familienpolitischen Fragen, zur Integration der Muslime und über ihr Verhältnis zum Papst.

 (DR)

KNA: Frau Bundeskanzlerin, der Papst kommt nächstes Jahr nicht nach Deutschland. Werden Sie ihn dennoch in absehbarer Zeit treffen?

Merkel: Ich erinnere mich gerne an die intensiven Gespräche, die ich mit Papst Benedikt XVI. geführt habe, und weiß, dass er sich auch angesichts der Finanzmarktkrise gerade mit Fragen der sozialen Verantwortung sehr eingehend auseinandersetzt. Und so gibt es viele Gesprächsthemen, die auch nach einer aus meiner Sicht hoffentlich erfolgreichen Bundestagswahl von gemeinsamen Interesse sind. Ich freue mich auf weitere Gespräche mit dem Papst, gerne auch als Gast.

KNA: Die Unstimmigkeiten nach der Williamson-Affäre sind also beigelegt?
Merkel: Zu den Äußerungen von Williamson, der den Holocaust auf deutschem Boden relativiert hat, habe ich das gesagt, was aus meiner Sicht zu sagen war. Die persönliche Haltung des Papstes zum Holocaust steht und stand für mich zu jeder Zeit außer Zweifel.

KNA: Nach den Umfragen könnte es sein, dass Sie, dass die Union demnächst mit den Liberalen zusammen eine Mehrheit hat. Angenommen das wäre so - wird dann das Thema einer weiteren Liberalisierung der Stammzellenforschung für die CDU verhandelbar sein?
Merkel: Die Frage der Stammzellforschung und andere bioethische Fragen werden von Union und FDP unterschiedlich gesehen. Diese Themen sind sicher ein Unterscheidungsmerkmal der CDU und CSU zu allen anderen Parteien, auch der FDP. Die CDU wird sich an dieser Stelle nicht den Vorstellungen der FDP, die ja sehr weitgehend sind, öffnen. Wir haben bei der Stammzellenforschung in dieser Legislaturperiode bereits eine Verschiebung des Stichtages beschlossen, was schon sehr viele Kontroversen hervorgerufen hat.

Ich sehe keinen Bedarf für eine weitere Liberalisierung. Mit den Liberalen verbindet uns die größte Gemeinsamkeit in der Wirtschaftspolitik, aber in der Familienpolitik, oder eben auch bei den Stammzellen oder dem Thema «Patientenverfügung», ist es anders.. Hier sind wir dem «C», also dem christlichen Menschenbild, verpflichtet.

KNA: Wo liegen denn die Unterschiede in der Familienpolitik?
Merkel: Da ist zum Beispiel die Frage der Adoption von Kindern auch für gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaften, die von Union und FDP unterschiedlich debattiert wird. Die Aufrechterhaltung des Ehegattensplittings ist in diesem Zusammenhang eine weitere Frage. Sie ist uns wichtig, um den besonderen Schutz der Ehe zu unterstreichen. Hier hat die Union klare Prinzipien.

KNA: Zu Ihrer Biografie gehört, dass Sie sowohl Pfarrerstochter wie Physikerin sind. Wie bringen Sie den christlichen Glauben an den Schöpfergott zusammen mit dem Weltbild der Naturwissenschaft?
Merkel: Für mich sind naturwissenschaftliche Erkenntnisse, etwa ausgehend von den Thesen Darwins, und mein Glaube an Gott sehr wohl vereinbar. Ich glaube nicht, dass die naturwissenschaftliche Erforschung bis ins Kleinste hinein eine Suche nach Gott ist, sondern dass Gott über all dem ist. Die Erde in ihrer naturwissenschaftlichen Erforschbarkeit ist eine ganz andere Sache.

KNA: Wenn Sie 20 Jahre nach dem Mauerfall an die Oppositionsgruppen in der Gethsemane-Kirche oder in der Zionskirche in Ost-Berlin zurückdenken: Stimmt der Eindruck, dass Sie zu diesem Teil der Reformbewegung eine gewisse Distanz gehalten haben?
Merkel: Ich habe die Kritik am sozialistischen Staat voll geteilt, aber manche Antworten und Schlussfolgerungen waren mir zu wenig realitätsnah. Ich erinnere mich zum Beispiel, wie ich am 11. November, zwei Tage nach dem Mauerfall, auf einem Geburtstag bei Freunden aus kirchlichen Oppositionsgruppen war. Die meisten waren glücklich über das sich abzeichnende Ende der Diktatur, aber eher unglücklich über die Vorstellung einer Wiedervereinigung und haben gesagt, jetzt sei der dritte Weg vorbei, jetzt würden sie gleichsam vom Westen eingemeindet. Und ich gehörte zu den ganz wenigen in dieser Runde, die froh war und sich für die Einheit ausgesprochen hat. Es gab damals halt viele, die sich so etwas wie einen dritten Weg erträumt hatten. Ich will das gar nicht niedermachen, das liegt mir völlig fern, aber meine Haltung war es nicht.

KNA: Innenminister Schäuble hat mit der Islamkonferenz einen Schritt zur politischen und gesellschaftlichen Integration der Muslime in Deutschland gemacht. Wie stellen Sie sich diesen Prozess auf lange Sicht vor? Wird es irgendwann in Deutschland muslimische Feiertage als staatliche Feiertage geben? Werden wir eines Tages einen muslimischen Bundeskanzler haben?
Merkel: Unser Grundgesetz garantiert die Religionsfreiheit, es gibt also keine Beschränkungen. Mir ist es wichtig, dass wir dies auch in der gelebten Realität umsetzen. Wir haben in den zurückliegenden vier Jahren zwei Dinge gemacht. Zum einen haben wir mit Staatsministerin Maria Böhmer das Thema Integration als eine zentrale Aufgabe hier ins Kanzleramt geholt. Hier müssen wir in den kommenden Jahren weitere Schritte gehen für ein gutes Zusammenleben im Alltag. Das Zweite ist der Dialog mit den Muslimen, den Wolfgang Schäuble als der für Kirchen und Religionsgemeinschaften zuständige Minister führt.

Langfristig streben wir an, dass wir mit den Muslimen in staatlich besser geordnete Beziehungen kommen. Das ist mit dem Islam nicht immer einfach wegen der verschiedenen theologischen Schulen und Nationalitäten und weil es keine zentrale Ansprechstelle gibt. Das ist sicherlich ein längerer Prozess sowohl zwischen Staat und Muslimen als auch zwischen den unterschiedlichen Richtungen der Muslime untereinander. Aber aus meiner Sicht ist es ein sehr wichtiger Prozess. Und auch der Dialog zwischen den Kirchen und den islamischen Vertretern in Deutschland sollte weitergehen, der auch nicht immer ganz einfach ist und der trotzdem mit aller Ernsthaftigkeit geführt werden muss.

KNA: Aber Sie sehen das bisher Erreichte in der Islamkonferenz als Erfolg an?
Merkel: Ja, ich sehe das als einen deutlichen Schritt nach vorne an, auch wenn wir noch einen langen Weg vor uns haben. So haben das im Übrigen auch die Teilnehmer der Islamkonferenz gesehen.

KNA: Und die islamischen Feiertage?
Merkel: Also das sehe ich ehrlich gesagt nicht. Was ich für die nächsten Jahre sehr wichtig finde, ist, dass wir zunehmend mehr voneinander wissen. Noch vor gar nicht so langer Zeit wusste kaum ein Nichtmuslim etwas über den Ramadan, heute ist das schon ganz anders. Und je mehr muslimische Beschäftigte in den Betrieben oder auch in der Verwaltung oder in der Polizei und in den Ministerien sind¸ umso breiter wird dieses Wissen. Das bereichert unser Zusammenleben.

Das Interview führte KNA-Chefredakteur Ludwig Ring-Eifel.