Es ist in diesem Jahr ihr zweiter Auftritt in einer katholischen Akademie nach der Auseinandersetzung um ihre Papstkritik vom Februar. Wie Ende März in Berlin geht es ums Allgemeine und Grundsätzliche. «Politisches Handeln aus christlicher Verantwortung» lautet das Thema.
Nichtsdestotrotz, Akademieleiter Florian Schuller wurde von Interessenten schier überrannt. «Sie sind die 550 Glücklichen», begrüßt er das überwiegend ältere Publikum. Weit mehr als tausend anderen habe er absagen müssen. In der ersten Reihe lauschen Münchens Erzbischof Reinhard Marx, Kardinal Friedrich Wetter und Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU). Der sommerwarme Saal der Akademie platzt aus den Nähten. Aber hitzig wird es nicht.
Es brauche einen «verlässlichen inneren Kompass», bekennt die Kanzlerin. Sie bewegt sich locker durch die Rede, mäandert durch das Manuskript. Drei Mal verweist sie auf die neue Enzyklika von Papst Benedikt XVI., drängt auf ein Gefühl des Zusammenhalts statt einer kalten Welt. «Ohne Leitbilder und Orientierungen werden wir keine Lösungen finden», meint die 55-Jährige und singt das Hohelied auf die Soziale Marktwirtschaft. So emsig, dass Marx im Anschluss anmerkt, solch «kämpferische» Klänge hätte er sich schon einige Jahre früher gewünscht.
Kein einziges Mal unterbricht Beifall die knapp 45-minütige Rede, die auch deshalb etwas von einer Vorlesung hat. In der Diskussionsrunde wechselt die Atmosphäre, auch Merkel wirkt nahbarer. Bei acht Fragen rund um Atomkraftwerke, Bologna-Prozess und Sozialpolitik bleibt es bis zum Schluss lebendig.
Zumindest an einer Stelle wird es turbulent. Da rügt eine Dame aus den hinteren Reihen etwas aufgeregt, aber in vorformulierten Worten die Kanzlerin wegen ihrer Kritik am Papst. Der Heilige Vater sei doch kein Politiker! «Ich bin dankbar für diese Frage», sagt Merkel mitten hinein in das laute Raunen.
Dann wird die Kanzlerin grundsätzlich: Ihr sei vollkommen klar, dass die Einstellung des Papstes zum Holocaust «völlig ohne jeden Zweifel ist». Aber die Kirchenleitung habe eben auch die Aufgabe dafür zu sorgen, dass es keinerlei Missverständnisse darüber geben dürfe, was im kirchlichen Umfeld möglich sei. Für eine Bundeskanzlerin sei immer dann, wenn auf deutschem Boden der Holocaust geleugnet werde, eine Situation erreicht, wo sie «auch das Wort ergreift». Das TV-Interview mit der Holocaust-Leugnung des Briten Richard Williamson war in Bayern aufgezeichnet worden.
Merkel spricht vom Papst als «Stellvertreter Gottes auf Erden». Den Namen Benedikt XVI. verwendet sie an diesem Abend nicht, gewiss zufällig. Sie erzählt aber doch, dass sie seine «geistige Schärfe», seine geistige und dogmatische Kraft, seine Unbestechlichkeit «unglaublich bewundere».
Schuller verweist zum Abschluss darauf, dass nach Analysen der jüngsten Wahlen der Union «das klassische katholische Milieu» wegbreche. «Da müssen wir jetzt gemeinsam dran arbeiten», erwidert Merkel und bleibt danach noch gut eineinhalb Stunden als Gast im Erzbischöflichen Haus um die Ecke.
Bundeskanzlerin Merkel bei Bayerns Katholiken
Eine Vorlesung und acht Fragen
Zwischendurch wird Angela Merkel pathetisch. "Wir sind Geschöpfe Gottes", erläutert die Bundeskanzlerin ihr Verständnis einer Politik auf Basis des christlichen Menschenbildes. Und sie spricht davon, "dass die Liebe Gottes gegenwärtig ist und uns umfängt". Als sie dann von den vielen Bergkapellen in Norditalien schwärmt, ist die CDU-Chefin vielleicht schon in Gedanken im Urlaub in Südtirol. Am Dienstagabend aber war die Bundeskanzlerin in München und Gast der Katholischen Akademie in Bayern.
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