Tagung über Beitrag der DDR-Katholiken 1989 und danach

Nach spätem Start die Chancen ergriffen

Im Gedenken war es wie vor 20 Jahren: Beim Thema friedliche Revolution kamen die Katholiken erst mit Verzug in Fahrt. Mit einer großen Tagung setzte die Berliner Katholische Akademie nun vor großem Publikum dennoch einen markanten Schlusspunkt unter die vielen Rückschauen auf den 20. Jahrestag des Mauerfalls.

Autor/in:
Gregor Krumpholz
 (DR)

Unter den Stichworten "Lernschritte und Bewährungsproben" ging es auch um Perspektiven auf die Zeit nach dem magischen Datum des 9. November.

Mit Blick auf die Vorgeschichte der friedlichen Revolution mahnte der Erfurter Kirchenhistoriker Josef Pilvousek zur differenzierten Bewertung der DDR-Katholiken. Vor allem ihre "neuen" Bischöfe wie der Erfurter Joachim Wanke hätten sich nach 1980 immer weniger an die bisherigen "Geschäftsgrundlagen" mit dem SED-Regime gehalten. So hätten sie öffentliche Großveranstaltungen ohne vorherige Absprache mit dem Staat abgehalten und in Hirtenbriefen die Stellung der Katholiken in der DDR kritisch beleuchtet.

Unbestritten bleibt dennoch, dass die (Ost-)Berliner Bischofskonferenz im "Wendeherbst" 1989 erst spät von ihrem Kurs weitgehender politischer Abstinenz abwich. "Wir hatten anfangs nicht die Hoffnung, dass der Widerstand der evangelischen Kirche zum Erfolg führen könnte", räumte Kardinal Georg Sterzinsky ein, der zwei Monate vor dem Mauerfall die Leitung des Bistums Berlin übernahm. "Ich habe lange mit mir gerungen, bis ich die katholischen Laien ermuntert habe, sich in der Bürgerbewegung zu engagieren". Viele von ihnen gingen da schon gemeinsam mit evangelischen Christen für demokratische Reformen auf die Straße.

Meyer: Chance zu realem Wandel zu spät gesehen
Dennoch: "Wir haben die Chance zu realem Wandel zu spät gesehen und wenig Anteil daran", zog Hans Joachim Meyer, viele Jahre an der Spitze des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, für die Zeit vor dem 9. November Bilanz. Danach jedoch kam es ganz schnell anders. Zahlreiche Katholiken gingen in die Politik. Weit häufiger, als es ihrem kleinen Anteil an der Bevölkerung entsprach, wurden sie in die neuen Ämter in Kommunen und auf Landesebene gewährlt. Es ging das polemische Wort um: "Die Protestanten machen die Revolution, und der Vatikan besetzt die Stellen".

Der evangelische Berliner Altbischof Martin Kruse sieht in dem Sachverhalt dagegen Anlass zur Selbstkritik. Viele ostdeutsche Protestanten hätten nach dem Mauerfall darauf beharrt, "einen Sozialismus mit menschlichem Antlitz zu schaffen", kritisierte er. Dagegen hätten die Katholiken sich rasch für den Aufbau der parlamentarischen Demokratie engagiert. "Da haben wir etwas versäumt", meinte Kruse.

Doch auch in diesem Fall verbieten sich Vereinfachungen. So moderierten Vertreter der Kirchen gemeinsam viele der tausenden Runden Tische, die bis zu den ersten freien Wahlen der DDR im März 1990 Reformvorschläge berieten und die Auflösung der Stasi kontrollierten. "Diese Leistung wird heute viel zuwenig gewürdigt", monierte der Jenaer Pfarrer Karl-Heinz Ducke, damals einer der Moderatoren des zentralen Runden Tisches der DDR in Berlin.

Entwertung des Begriffs "Solidarität"
Vor "Bewährungsproben" stehen die Katholiken wie die anderen Christen im Osten auch weiter. Bischof Wanke trug eine weithin düstere Analyse vor. Die ostdeutsche Gesellschaft, konstatierte er, werde noch lange "durch das alte System verursachte geistige Schäden" aufweisen. Als Beispiele führte er die Entwertung des Begriffs "Solidarität" an, ebenso eine "Hilflosigkeit, das eigene Leben gestaltend in die Hand zu nehmen", verbunden mit überzogenen Erwartungen an den Staat.

Allerdings sei die Nachwendesituation im Osten "weithin noch nicht so verfestigt und verkrustet", wie zum Teil im Westen, betonte Wanke. Um die sich bietenden pastoralen Chancen ergreifen zu können, brauche die Kirche im Osten weiter die Solidarität der Bistümer im Westen, sagte Wanke. Sie selbst müsse jedoch eine Haltung der "Einigelung" überwinden und sich für ihr kirchenfernes Umfeld stärker öffnen. Auf pastoraler Ebene bleibt das zentrale Thema der ostdeutschen Katholiken in der "Wende"-Zeit weiter aktuell.