Vannuchi nutzte seinen ersten öffentlichen Auftritt nach dem von ihm ausgelösten politischen Erdbeben zur Verteidigung des Menschenrechtsplans. Mit diesem hatte er kurz vor Weihnachten vielen auf die Füße getreten: Die katholische Kirche wandte sich deutlich gegen die darin geforderte Straffreiheit für Abtreibungen sowie gegen die Zulassung der "Homo-Ehe" und der Adoption von Kindern durch gleichgeschlechtliche Paare. Bauernverbände erhoben die Stimme gegen die Idee, Landbesetzern das Recht auf gerichtliche Anhörung einzuräumen. Und Arbeitgebern graute es vor mehr Rechten und gerechteren Löhnen für ihre Angestellten.
Kaum eine der geplanten 521 Maßnahmen und 34 Gesetzesinitiativen blieb von Kritik verschont. Ein Alptraum für Präsident Luiz Inacio Lula da Silva. Er steht offiziell zwar hinter den meisten Forderungen des Planes, kann aber im Wahljahr 2010 weder schlechte Presse noch eine Zerreißprobe der Regierung gebrauchen. So nahm der Präsident die Abtreibungs-Passage zurück, um die katholische Kirche zu besänftigen.
Einrichtung einer Wahrheitskommission
Doch an anderen Ende brannte es weiter. Für die heftigsten Reaktionen sorgte der Abschnitt zur Einrichtung einer Wahrheitskommission, die die Menschenrechtsverstöße während der Militärdiktatur (1964 - 1985) untersuchen sollte. Verteidigungsminister Nelson Jobim und die Führung der Streitkräfte drohten mit Rücktritt und nötigten Lula, auch diese Passage zu ändern. Jetzt sollen ganz allgemein Menschenrechtsvergehen zwischen 1946 und 1988 untersucht werden. Und von "politischer Unterdrückung" während der Diktatur ist auch nicht mehr die Rede.
Vannuchi sieht sich trotzdem nicht als Verlierer. "Ich fühle mich nicht von Minister Jobim besiegt", sagt der Sekretär, dem seitens des Militärs historischer Revanchismus vorgeworfen wurde. Vanucchi wurde in den 70er Jahren selbst verfolgt, als er einer militanten Gruppe angehörte, die Menschenrechtsverstöße durch das Militär offenlegte. "Eine Zeitung hat sogar geschrieben, dass ich das, was ich mit Gewehrkugeln nicht erreicht habe, jetzt mit dem Stift erreichen wolle", erzählt er. "Aber wir wollen niemanden in den Kerker werfen. Ganz im Gegenteil: Wir wollen Licht auf die Geschichte werfen, damit sie sich nicht wiederholt."
Damit, so Vanucchi, treffe man in Brasilien einen empfindlichen Nerv, der historisch gewachsen sei. Die Geschichte seines Landes sei mit dem Raubbau an Afrika, dem Sklavenhandel und dem Völkermord an den indianischen Ureinwohnern verbunden. Diese Menschenrechtsverstöße würden genauso totgeschwiegen wie die der Militärdiktatur.
Präsidentschaftswahlkampf steht bevor
Auch aktuell gebe es große Herausforderungen; etwa die Sklavenarbeit. Jedes Jahr würden 3.000 solcher Fälle aufgedeckt, berichtet Vanucchi. Und die Zahlen seien stiegen. Während in der Zeit von 1995 bis 2002 insgesamt etwa 6.000 Menschen aus der Sklaverei befreit wurden, seien es seit Amtsantritt von Lula Anfang 2003 rund 30.000 Fälle gewesen. Für Vanucchi eine Erfolgsgeschichte: "Das heißt nicht, dass die Fälle von Sklaverei zugenommen haben. Was zugenommen hat, sind die Aktionen der Regierung dagegen."
Um die Umsetzung seines Menschenrechtsplans steht es dagegen eher schlecht. Ab April soll der Kongress über die 34 Gesetzesvorschläge entscheiden. Doch Mitte des Jahres beginnt in Brasilien der Präsidentschaftswahlkampf und bringt die parlamentarische Arbeit zum Erliegen. Präsident Lula spekuliert wohl genau darauf. So könnte er den umstrittenen Plan sterben lassen, ohne es sich mit sozialen Bewegungen zu verscherzen, die dahinter stehen.
Brasiliens Menschenrechtssekretär wehrt sich gegen Kritik aus Heimat
Don Quijote der Menschenrechte
Paulo de Tarso Vannuchi ist wieder aufgetaucht. Mehr als ein Monat ist vergangen, seit der Menschenrechtssekretär der brasilianischen Regierung den "3. Nationalen Menschenrechtsplan" vorgelegt hat. "Gelyncht" worden sei er dafür von Teilen der brasilianischen Medien, beschwert sich Vannuchi. Auf dem Weltsozialforum in Porto Alegre holt zum Gegenschlag aus.
Share on